Was für krasse Relationen: Der Online-Reifenhändler Delticom ist an der Börse gerade einmal 27 Mio. Euro wert – und das bei einem Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) von zuletzt 15 Mio. Euro. Ein EBITDA, was die Hannoveraner in dieser Größenordnung für das laufende Jahr idealerweise eher als Untergrenze anpeilen. So liegt die für 2023 avisierte EBITDA-Bandbreite zwischen 14,0 und 18,9 Mio. Euro. Weniger als den Faktor 2 auf das EBITDA zu bezahlen, klingt nach einer Gelegenheit, die es nicht allzu häufig gibt. Und trotzdem liegt der Aktienkurs von Delticom noch immer wie Blei in den Regalen. Was gilt es also zu beachten? Zunächst einmal spiegelt die Marktkapitalisierung nur die eine Hälfte der Medaille wider. Inklusive der Netto-Finanzverbindlichkeiten von rund 70,5 Mio. Euro türmt sich der gesamte Unternehmenswert bereits auf knapp 100 Mio. Euro, was das entsprechende EBITDA-Multiple bereits Richtung 7 hebt.
Damit sehen die Kennzahlen zwar nicht mehr ganz so vorteilhaft aus, aber trotzdem lohnt sich noch immer ein Blick auf die von Ende 2008 bis Mitte 2015 sogar im SDAX enthaltene Aktie. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die gesamten Finanzschulden zu knapp 83 Prozent Leasingverbindlichkeiten sind – in erster Linie für angemietete Lagerhallen. Daneben existiert der Ende 2021 verlängerte und für die Sanierung überlebenswichtige Konsortialkreditvertrag mit einem Finanzierungsrahmen von bis zu 40 Mio. Euro. Sonst gibt es keine langfristigen Finanzschulden gegenüber Banken mehr. Das ist schon mal ein positives Signal. Gleichwohl sorgt die noch immer geringe Liquidität für wenig Pufferzone in schwierigen Zeiten, dessen sollten sich potenzielle Investoren bewusst sein.
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Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 667,71 | 645,72 | 625,76 | 541,26 | 585,37 | 509,30 | 475,69 | |
EBITDA1,2 | 9,27 | 9,00 | -6,64 | 15,04 | 17,09 | 15,00 | 20,64 | |
EBITDA-Marge3 | 1,39 | 1,39 | -1,06 | 2,78 | 2,92 | 2,95 | 4,34 | |
EBIT1,4 | 2,04 | 1,09 | -42,05 | 5,36 | 7,06 | 4,22 | 11,52 | |
EBIT-Marge5 | 0,31 | 0,17 | -6,72 | 0,99 | 1,21 | 0,83 | 2,42 | |
Jahresüberschuss1 | 1,12 | -1,70 | -40,78 | 6,87 | 6,81 | 2,81 | 8,03 | |
Netto-Marge6 | 0,17 | -0,26 | -6,52 | 1,27 | 1,16 | 0,55 | 1,69 | |
Cashflow1,7 | 15,38 | -11,71 | -22,45 | 35,89 | 21,93 | -5,52 | 33,06 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,09 | -0,13 | -3,27 | 0,55 | 0,49 | 0,19 | 0,54 | |
Dividende8 | 0,10 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: BDO |
Die Bilanz ist derweil mit einer Eigenkapitalquote von rund 20 Prozent zwar noch immer meilenweit entfernt von früheren Spitzenwerten mit deutlich über 50 Prozent, hat zuletzt aber immerhin vom Verkauf der US-Gesellschaft Delticom North America mit einem Ertrag von 3,8 Mio. Euro profitiert. Insgesamt sieht die operative Situation jedenfalls besser aus, als es der schwache Aktienkurs vermuten lässt. Am Ende kommt es darauf an, was Delticom künftig auch unterhalb des EBITDA an Profit zeigen kann. Immerhin gilt es jährlich mindestens 10 Mio. Euro Abschreibungen sowie ein negatives Finanzergebnis von vermutlich rund 1,3 Mio. Euro zu kompensieren. Analysten trauen es Delticom zu, dass die Gesellschaft bereits 2025 in der Lage ist, auf einen Netto-Überschuss von mehr als 5 Mio. Euro zu kommen. Wer als Anleger soweit in Zukunft schauen möchte, findet in dem Smallcap also eine heiße Wette.
Interessant in solch einer Gemengelage ist regelmäßig auch der Blick auf die Aktionärsstruktur: Dem Streubesitz sind derzeit etwa 53,5 Prozent zuzurechnen. Ankerinvestoren sind – über zwei Investmentvehikel – Vorstand Andreas Prüfer (Anteil: 30,07 Prozent) sowie der frühere Mitgründer Rainer Binder (Anteil: 14,67 Prozent). Bleibt zu hoffen, dass die Großaktionäre dem streng regulierten Börsensegment Prime Standard die Treue halten und nicht – mit dem deutlich geschrumpften Firmenwert – in ein Segment mit weniger Transparenzanforderungen wechseln. Zudem hofft boersengefluester.de, dass die Sanierung von Delticom soweit gefestigt ist, dass nachträglich keine negativen Überraschungen wie zuletzt bei dem Autozulieferer Leoni und dem Modeanbieter Gerry Weber zu erwarten sind, wo die Aktionäre über das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – kurz: StaRUG – komplett aus der Aktie gedrängt werden.
Ist leider so: In heutigen Zeiten müssen risikobereite Turnaroundinvestoren dieses unschöne Szenario wohl mit einkalkulieren. Das aber nur am Rande. Idealerweise steigt die Ausgabelaune der inflationsgeplagten Autofahrer für einen Satz neue Reifen im laufenden Jahr wieder spürbar an und Delticom setzt darüber hinaus das eigene Optimierungsprogramm weiter um. Dann kann der Aktienkurs schnell in ganz andere Regionen kommen. „Unser Fokus auf profitables Wachstum ist erfolgreich und liefert Ergebnisse“, sagt Delticom-Vorstand Andreas Prüfer. Gleichwohl blieb die Gesellschaft im ersten Quartal 2023 mit einem EBIT von minus 2,94 Mio. Euro operativ noch in der Verlustzone. „Wir gehen davon aus, dass die allgemeine Nachfrage gedämpft bleibt. Daher konzentrieren wir uns weiterhin darauf, die Effizienz in den Bereichen Logistik und Marketing nachhaltig zu verbessern”, ergänzt Andreas Prüfer und bestätigt dabei die bisherige Jahresprognose für 2023. Zumindest das ist die gute Nachricht. Aber Vorsicht: Es handelt sich um einen absoluten Hotstock!
Foto: Unsplash+
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