Normalerweise gehen Veranstaltungen in der Arena auf Schalke am Kapitalmarkt komplett vorbei. Doch für die Aktie des Konzertveranstalters DEAG Deutsche Entertainment scheint es seit Wochen kein anderes Thema als „Rock im Revier” zu geben. Allein in den vergangenen drei Monaten hat der Anteilschein nun um fast ein Viertel an Wert verloren und die Marktkapitalisierung damit auf 92,56 Mio. Euro gedrückt. Ursprünglich hieß das Festival „Grüne Hölle” und sollte am Nürburgring stattfinden. Eine bizarre Situation, denn plötzlich gab es zwei ähnlich gelagerte Konzerte im Abstand von nur einer Woche. Grund: Veranstalter Marek Lieberberg verschob seinen traditionsreichen und mittlerweile ausverkauften „Rock am Ring” – nachdem er sich mit dem späteren DEAG-Partner und Nürburgring-Besitzer Capricorn nicht einigen konnte – kurzerhand an den gut 30 Kilometer entfernten Flugplatz Mendig. Mit diesem für den Kartenvorverkauf von DEAG nicht gerade förderlichen Gitarrenwettbewerb hatten sich die Berliner lange Zeit arrangiert. Die Reißleine zog DEAG-Vorstandschef Peter Schwenkow jedoch, als sich Capricorn – mittlerweile zieht dort ein russischer Investor die Strippen – nach seinen Angaben nicht mehr an Abmachungen hielt und Zahlungen für Musikergagen oder Werbemaßnahmen zurückhielt. Dabei war ursprünglich eine Partnerschaft auf Augenhöhe vereinbart, bei der alles brüderlich geteilt wird. Kurzerhand wurde das Musikspektakel daraufhin nach Gelsenkirchen verlegt.
Mit Blick auf den Aktienchart geht es aber nur vordergründig um das dreitägige Revierfestival (vom 29. bis 31. Mai 2015) mit Gruppen wie Metallica, Faith No More, Muse, Limp Bizkit, Kiss und Judas Priest. Ein Aufreger ist das Thema, weil Skeptiker bereits die gesamte – erst im Vorjahr aus der Taufe gehobene – Festival-Strategie von DEAG als kaum kalkulierbares Risiko bewerten. Munition für diese Schlussfolgerung lieferten ausgerechnet die Wirtschaftsprüfer von BDO, die das Testat für den 2014er-Abschluss von DEAG aufgrund der Festival-Unsicherheiten einschränkten. Auf der DVFA-Frühjahrskonferenz Anfang Mai in Frankfurt bezeichnete DEAG-Finanzvorstand Christian Diekmann diese Entscheidung von BDO als einen „technischen Vorgang, der sehr gut nachvollziehbar ist”. Schließlich ließ sich für die Bilanzexperten aus den Vorverkaufszahlen – auch mangels valider Erfahrungswerte aus der Vergangenheit – nicht verlässlich einschätzen, ob die von DEAG für 2014 angesetzte Risikovorsorge tatsächlich ausreichend ist. Dabei hat die Gesellschaft für den Fall eines Vertragsbruchs vorgesorgt und bei der Gothaer eine Versicherung bis zu einer Summe von 7,5 Mio. Euro abgeschlossen. Gegenwärtig lässt sich allerdings kaum abschätzen, welcher Betrag daraus wann zufließen wird. Zunächst einmal wurden die Anleger mit der wenig erbaulichen Tatsache konfrontiert, dass das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) für 2014 mit 4,24 Mio. Euro aufgrund von Wertberichtigungen und Anlaufinvestitionen spürbar unter dem entsprechenden Vorjahreswert von 7,31 Mio. Euro lag.
Fast untergegangen in dem ganzen Festivaltrubel ist allerdings der Start von myticket.de im November 2014. Dabei ist der Launch der eigenen Ticketplattform der eigentliche Kurstreiber für die DEAG-Aktie. Schließlich ist myticket.de so etwas wie der Schlüssel zur Digitalisierung des Geschäftsmodells. „Die Erfahrungen der vergangenen sechs Monate sind sehr positiv”, sagt Diekmann jetzt im Hintergrundgespräch mit boersengefluester.de. Im jüngsten Geschäftsbericht bezeichnete DEAG den Start von myticket.de als den wohl „bedeutendsten Schritt” für das Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren. Die wesentlichen Aufwendungen für den Launch in Höhe von rund 1,5 Mio. Euro hat das Unternehmen bereits im 2014er-Abschluss verarbeitet. Die Grundidee dahinter: DEAG hat jede Menge exklusiven Content – sprich Musikkonzerte und andere Veranstaltungen – im Programm. Ein unschätzbarer Vorteil gegenüber vielen anderen Ticketplattformen, die allesamt um attraktive Konzerte buhlen. Was lag also näher, als einen Teil der Tickets künftig unter eigener Regie zu verkaufen? Immerhin handelt es sich um ein extrem lukratives Business.
Während im klassischen Konzertgeschäft Margen zwischen fünf und zehn Prozent realistisch sind, lassen sich mit dem Ticketing Renditen von mehr als 25 Prozent erwirtschaften. Etablierte Unternehmen wie CTS Eventim erzielen auf EBIT-Basis sogar Margen von rund 35 Prozent. Mittelfristig sollen daher etwa 40 Prozent der DEAG-Kontingente über myticket.de laufen. Die nächsten wichtigen Schritte sind bereits eingeleitet. „Wir arbeiten sehr intensiv an der Öffnung für Dritt-Content”, verrät uns Diekmann. In die Karten schauen lässt er sich hier allerdings noch nicht. Auf der DVFA-Frühjahrskonferenz ließ er aber durchklingen, dass für Medienpartnerschaften vor allem große Verlage oder auch TV-Sender in Frage kommen. Es darf also spekuliert werden, wer hier einsteigt. Bislang befindet sich die in Frankfurt angesiedelte mytic myticket AG zu 100 Prozent im Eigentum von DEAG. Bewertungstechnisch dürfte die aktuelle Marktkapitalisierung des DEAG-Konzerns schon jetzt zu einem erheblichen Teil durch die Plattform myticket.de abgedeckt sein. Das blendet die Börse derzeit aus.
Ebenfalls ein Diskussionspunkt: Zur Hauptversammlung am 25. Juni 2015 lässt DEAG die Dividende ausfallen. „Eine Vorsichtsmaßnahme, die wir sehr genau abgewogen haben”, sagte Diekmann zuletzt in Frankfurt. Gemessen an der Performance der Aktie – also Kursentwicklung plus Dividende – der vergangenen Jahre sollten Privatanleger die Entscheidung, so unpopulär sie auch ist, jedoch nicht überbewerten. Zur Einordnung: Für 2013 hatte DEAG eine Gewinnbeteiligung von 0,12 Euro pro Anteilschein festgelegt, was Ende Juni 2014 einer Ausschüttungssumme von knapp 1,64 Mio. Euro entsprach. Parallel dazu gewann die Aktie in den zwölf Monaten 2014 von 4,29 auf 7,02 Euro an Wert, was einem ansehnlichen Plus von 63,63 Prozent entspricht. Inklusive des Dividendenschecks ergibt sich daraus eine Performance von 66,43 Prozent. Auch in den Jahren 2012 und 2013 war der Einfluss der Dividende auf die Gesamtperformance eher marginal. Bei einer unveränderten Ausschüttung je Anteilschein für 2014 wäre die Gewinnbeteiligung – aufgrund der durch die jüngste Kapitalerhöhung (KE) erhöhten Aktienzahl – auf einen Gesamtbetrag von etwa 1,96 Mio. Euro hinausgelaufen. Das „gesparte” Geld eröffnet DEAG nun zusätzlichen Spielraum. Und hier sind die Berliner ohnehin noch in der Pflicht: Ende Mai 2014 flossen aus der Kapitalerhöhung brutto gut 13 Mio. Euro in die Kassen. Davon wurden bislang rund 4,7 Mio. Euro für die 51-Prozent-Beteiligung an dem britischen Veranstalter Kilimanjaro verwendet. Hinzu kommen die Aufwendungen für myticket.de. Bleibt also noch immer ein ansehnlicher Batzen für das zur KE angekündigte „weitere Wachstum” übrig.
Summa summarum hält boersengefluester.de den Kursrutsch der vergangenen Monate für einen Sturm im Wasserglas. Sicher: Die Querelen um den Aufbau des Festival-Geschäfts sind keine guten Nachrichten. Auch das in einem Punkt eingeschränkte Testat sowie der Dividendenausfall sorgen nicht gerade für anhaltende Zugabe-Rufe. Andererseits sind die Erfolge der Vertriebsplattform myticket.de komplett in den Hintergrund gerückt. Das sollte sich bald ändern. Schließlich gilt die Digitalisierung – und damit auch stärkere Skalierung – des Geschäftsmodells als eigentlicher Hebel für DEAG. Darauf setzen auch prominente Aktionäre wie Allianz Global Investors. Und die Beteiligungsgesellschaft Heliad Equity Partners hat auf der Investorenkonferenz in Frankfurt ebenfalls deutlich gemacht, dass für ihren – mittlerweile auf 9,67 Prozent geschrumpften Anteil – keine Verkaufsabsichten bestehen. Die Analysten von Hauck & Aufhäuser haben ihr sportliches Kursziel von 10,50 Euro zuletzt ebenfalls bestätigt. Aber selbst die von der DZ-Bank aufgerufenen 8,25 Euro deuten auf erheblichen Spielraum nach oben. Nächster wirklich kursrelevanter Termin in der Veltins-Arena auf Schalke ist übrigens der 16. Juni 2015. Dann findet dort die Hauptversammlung des Gelsenkirchner Schlauchspezialisten Masterflex statt.
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