Was für eine irre Entwicklung: Ende Juni 2022 gab Clean Logistics noch bekannt, dass der Green Energy-Konzern GP Joule bei den Hamburgern 40 Umbauplätze zur Fabrikation von Wasserstoff-Lkw reserviert habe. Das potenzielle Auftragsvolumen des Deals siedelte Clean Logistics im „unteren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich“ an. Grob gerechnet also rund 400.000 Euro pro Fahrzeug. Ein schöner Erfolg für ein Unternehmen, das gerade erst seinen Prototypen einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt hatte. Im Hintergrund muss zwischenzeitlich allerdings viel passiert sein, denn jetzt folgte ein Upgrade mit dem unglaublichen Faktor von 125. Demnach will GP Joule von 2023 bis 2027 insgesamt 5.000 wasserstoffelektrische Trucks von Clean Logistics abnehmen. Das mögliche Auftragsvolumen liegt im unteren einstelligen Milliarden-Euro-Bereich. „Es handelt sich weltweit um den größten Vertrag dieser Art“, sagt Clean Logistics-CEO Dirk Graszt.
Krasse Sache, trotzdem sollten Investoren nicht gleich vor Freude in die Luft springen, denn erfahrungsgemäß sind solche Mega-Deals für Unternehmen mit Start-up-Charakter auch eine gewaltige Belastungsprobe. Dabei wäre es wohl ein Wunder, wenn alles reibungslos laufen würde. Zur Einordnung: Der DAX-Konzern Daimler Truck setzte im vergangenen Jahr von seiner Stammmarke Mercedes-Benz rund 141.000 Lkw ab und war damit wohl schon gut beschäftigt. Entsprechend muss sich die Infrastruktur von Clean Logistics erheblich ändern, um mit solchen Stückzahlen fertig zu werden. Immerhin bekommt der kürzlich abgeschlossene Vertrag zur Übernahme des niederländischen Lkw-Herstellers GINAF (siehe dazu auch unseren Beitrag HIER) vor dem Eindruck der GP Joule-Transaktion eine ganz neue Bedeutung. Zudem geht es jetzt um die Herstellung von Neufahrzeugen, nicht mehr nur um die Umrüstung alter Zugmaschinen auf Zero-Emission-Antrieb. Auch das eine wichtige Botschaft, denn Umrüstgeschäft allein ist auf die lange Sicht wohl eher eine Nische.
Indirekt wirft die Order aber auch ein Schlaglicht auf die Branche, denn offenbar sind die großen Hersteller vorerst weiter nicht in der Lage, entsprechende Wasserstoff-Lkw in großer Menge zu liefern und sehen sich zunehmend der Konkurrenz von jungen Herausforderern ausgesetzt. Das gilt freilich auch auf der anderen Seite der Wertschöpfungskette, denn GP Joule will künftig nicht einfach nur Wasserstoff-Lkw an Logistikunternehmen vermieten, sondern gleichzeitig auch für die nötige Infrastruktur – sprich eine geeignetes Tankstellennetz – sorgen. Zurück zur aktuellen Börsennotiz von Clean Logistics: Derzeit bringt es die noch defizitäre Gesellschaft auf eine Marktkapitalisierung von etwas mehr als 153 Mio. Euro. Gemessen am noch überschaubaren Status quo ist das bereits sehr ambitioniert.
Mit Blick weit über den Tellerrand hinaus, kann das aber auch eher günstig sein. Wirklich valide abschätzen, lässt sich das derzeit kaum, entsprechend bleibt die Aktie hochspekulativ. Sei es drum: Kurzfristig ist der Newsflow ein Knaller, selbst wenn es keinerlei betriebswirtschaftliche Eckdaten gibt – und das Thema öffentliche Förderung eine wichtige Rolle spielt. Gedanklich einstellen sollten sich Investoren aber schon mal auf weitere Kapitalerhöhungen zur Finanzierung des geplanten Wachstums. Für ähnlich wahrscheinlich hält boersengefluester.de übrigens die Spekulation, dass GP Joule aus der Nähe von Flensburg perspektivisch selbst ein Kandidat für die Börse ist.
Foto: Clean Logitistics