Mit Sicherheit gibt es spannendere Lektüren als Geschäfts- und Quartalsberichte von Unternehmen. Dennoch sollten sich auch Privatanleger die Mühe machen, und einen etwas genaueren Blick in das Zahlenwerk werfen. Bilanzkenntnisse sind dafür zwar von Vorteil, aber gar nicht mal zwingend notwendig. Auf jeden Fall liefert der Geschäftsbericht jede Menge Informationen über das Geschäftsmodell und die aktuelle wirtschaftliche Lage. Und natürlich hilft der Prognoseteil, sich ein Bild von der künftigen Entwicklung zu machen. Sie werden überrascht sein, wie unterschiedlich die Unternehmen hier informieren. Manche Vorstände verstecken sich hinter Allgemeinplätzen, andere liefern dezidierte Einschätzungen für Umsatz- und Gewinnerwartungen. Auf diese Punkte sollten Privatanleger achten.
Werden die wichtigsten Themen transparent behandelt?
Spricht der Vorstand offen über den Verlauf des Geschäftsjahres oder ähnelt der Geschäftsbericht eher einer Werbepublikation? Gibt es eine Segmentberichterstattung? Werden negative Entwicklungen offen angesprochen? Werden unnötig schwer verständliche Fachbegriffe verwendet?
Hält der Vorstand seine Prognosen üblicherweise ein oder gab es in der Vergangenheit bereits häufiger Gewinnrevisionen?
Ist das Management konservativ oder aggressiv? Wie detailliert informiert der Vorstand im Prognosebericht über die Höhe von erwartetem Umsatz und Gewinn? Werden zumindest „Bandbreitenprognosen“ abgegeben. Wird das Unternehmen stärker, als vom Management angenommen, von der allgemeinen Wirtschaftslage beeinflusst? Haben sich produktspezifische Aspekte zum Vor oder Nachteil verändert? Führt der Vorstand allgemeine Ereignisse wie Flutkatastrophen oder Terroranschläge für das Verfehlen von Prognosen an?
Wie lange dauert es bis zur Veröffentlichung des Zahlenwerks?
Publiziert das Unternehmen eher zügig seine Geschäftszahlen oder hängt es regelmäßig hinterher. Musste die Publikation von Zahlen in der Vergangenheit bereits verschoben werden?
Gibt es außergewöhnlich hohe sonstige betriebliche Erträge oder Aktivierungen?
Können diese als dauerhaft bezeichnet werden oder haben sie eher Einmalcharakter? Ein konservativer Unternehmen wird darauf erpicht sein, dass bspw. die Forschungsausgaben komplett als Aufwand in die jährliche Gewinn- und Verlustrechnung einlaufen.
Wie entwickelt sich der Personalaufwand?
Bei produzierenden Unternehmen macht er in der Regel weniger als 30 Prozent vom Umsatz aus. Bei Dienstleistern kann die Quote aber wesentlich höher ausfallen. Mit steigendem Umsatz sollte die Personalaufwandsquote sinken.
Wie hat sich die Steuerquote verändert?
Zahlt das Unternehmen im „normalen“ (knapp 30 bis 35 Prozent) Umfang Steuern oder geht auf aufgrund von Verlustvorträgen nur ein eher geringer teil an den Fiskus? Wie lange reichen eventuelle Verlustvorträge noch? Gab es einmalige Steuererstattungen, die den Gewinn aufgebläht haben?
Gibt es hohe „Anteile Dritter“ beim Gewinn?
Diese entstehen, wenn Töchter nicht zu 100 Prozent im Besitz der Muttergesellschaft sind, etwa bei Joint-Ventures. Diese Anteile werden bei der Berechnung des auf die Aktionäre entfallenden Ergebnisses ausgeklammert.
Wurden die Modalitäten für Abschreibungen oder Rückstellungen verändert?
Verlängerte Abschreibungszeiten, höhere Diskontierungssätze und niedrigere erwartete Lohnsteigerungen in der Berechnung der Pensionsrückstellungen deuten auf eine progressivere Bilanzierung hin.
Wie haben sich die immateriellen Vermögensgegenstände durch Firmenzukäufe erhöht?
Fallen künftig höhere Abschreibungen an? Die Position „Firmenwert“ (Goodwill) gilt unter Bilanzexperten als bilanzpolitische Manövriermasse und potenzieller Gefahrenherd.
Welche Bedeutung hat der Bereich Forschung und Entwicklung für das Unternehmen?
Fährt das Unternehmen einen „Sparkurs“ oder wird konsequent in die Zukunft investiert? Welche spannenden neuen Projekte werden herausgestellt?
Entwickeln sich Forderungen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen par allel zu den Erlösen?
Ein überproportionaler Anstieg dieser Position kann auf operative Probleme, beziehungsweise respektive die Notwendigkeit, sich bei seinen Lieferanten zu finanzieren, hindeuten. Eine besonders große Rolle spielt die Entwicklung der Forderungen bei Anlagenbauern wie zum Beispiel Kraftwerksherstellern. Finden sich im Anhang des Geschäftsberichts detaillierte Angaben zu noch nicht fälligen Forderungen aus längerfristigen Projekten?
Wie hat sich die Verschuldung des Unternehmens verändert?
Wie groß ist der Anteil der kurzfristigen Finanzverbindlichkeiten? Wird im Anhang über die Zusammensetzung von Kreditverträgen berichtet und gibt es Zusatzinformationen über sogenannte Covenants? Hierbei handelt es sich um Vereinbarungen zwischen Kreditgebern und vom Unternehmen einzuhaltende bilanzielle Kennziffern – etwa das Verhältnis von Nettoverschuldung zu operativem Ergebnis oder Anforderungen an die Eigenkapitalquote. Werden solchen Covenants nicht eingehalten, drohen Strafzinsen.
Weicht die Entwicklung von Jahresüberschuss und operativem Cashflow im Mehr-Jahres- Vergleich voneinander ab?
Auf Dauer müssen sich Gewinne auch in Mittelzuflüssen niederschlagen. Ein negativer operativer Cashflow ist meist ein Zeichen von Problemen im Stammgeschäft.
Herrschen geordnete Verhältnisse in Vorstand und Aufsichtsrat?
Wird die Firmenstrategie laufend verändert? Gibt es häufige Wechsel im Vorstandsteam und nicht turnusgerechte im Aufsichtsrat? Wie waren die Leistungen des Managements in früheren Arbeitsverhältnissen?
Was sagt der Wirtschaftsprüfer?
Ist das Testat ohne Einschränkungen vorgenommen worden? Leistet der Wirtschaftsprüfer weitere Beratungsdienstleistungen für das Unternehmen? Hat der Wirtschaftsprüfer gewechselt?
Haben Vorstand, Aufsichtsrat, Großaktionäre und Streubesitzaktionäre gleichgerichtete Interessen?
Woran sind Bonizahlungen und Aktien-Optionsprogramme gekoppelt? Sind die zu erfüllenden Kenngrößen ambitioniert genug? Werden Geschäfte mit verbundenen Personen wie zum Beispiel Mietverhältnisse vorgenommen? Sind Gehälter, Boni und Aufsichtsratsvergütungen im Branchenvergleich angemessen oder exzessiv? Gab es überhöhte Abfindungszahlungen an scheidende Vorstände.