Am Ende hat die Zeit hinten und vorne nicht gereicht. Jedenfalls war Marco Falchetto, CEO von bet-at-home.com, nach der vereinbarten knappen halben Stunde Präsentation auf der Digitalkonferenz „Reisen & Freizeit“ von mwb Research noch längst nicht fertig mit seiner Vorstellung des neuen Setups von bet-at-home.com. Selbst die kurz vor dem Anpfiff stehende Fußball-EM 2024 in Deutschland fand nicht wirklich statt, so sehr dreht sich noch immer alles um die Transformation des Geschäftsmodells nachdem insbesondere der rechtliche Rahmen mit unkalkulierbar gewordenen Rückforderungen von Spielverlusten österreichischer Kunden aus dem Bereich Online-Casino für einen drastischen Schnitt gesorgt haben. „Wir haben ein sehr aggressives Turnaroundprogramm umgesetzt“, sagt Falchetto.
So hat die Gesellschaft mit operativem Sitz in Malta in den vergangenen zwei Jahren die Fixkosten um rund 60 Prozent gesenkt und große Teile der für den Betrieb der Wett- und Glücksspiele nötigen Software nach außen verlagert. Das allein ist eine radikale Änderung, weil bet-at-home.com früher stets viel Wert darauf gelegt hat, möglichst viel inhouse zu erledigen. Doch mit den sich zum Nachteil der Branche entwickelnden richterlichen Urteile im Bezug auf Kundenklagen sowie einem immer enger werdenden Korsett durch die staatliche Regulierung in wichtigen Ländern, stand bet-at-home.com zwischenzeitlich mit dem Rücken zur Wand. „Wir haben unsere Strategie den neuen Gegebenheiten angepasst. Heute ist die rechtliche Situation in Österreich weitgehend unter Kontrolle“, sagt Falchetto.
Doch das Klagerisiko in Deutschland ist damit längst nicht komplett vom Tisch, selbst wenn die potenziellen Zeiträume mit drei oder eventuell auch zehn Jahren deutlich kürzer sind als die in Österreich geltenden 30 Jahre. Und was das Thema „Maltesische Lizenz“ angeht, auf die sich auch bet-at-home.com früher gestützt hat, ist Malta in die Offensive gegangen und hat im Sommer 2023 die Regelung „Bill No. 55“ verabschiedet um die dort beheimateten Glücksspielunternehmen besser zu schützen. Demnach werden Rechtstitel gegen maltesische Anbieter dort nicht länger vollstreckt. Ein kniffliger Vorstoß, der aus EU-Perspektive vermutlich eher Aufschub als Befreiung bedeutet.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 145,39 | 143,35 | 143,29 | 126,93 | 59,35 | 53,53 | 46,18 | |
EBITDA1,2 | 35,47 | 36,22 | 35,17 | 30,95 | 13,97 | 2,11 | 0,81 | |
EBITDA-Marge3 | 24,40 | 25,27 | 24,54 | 24,38 | 23,54 | 3,94 | 1,75 | |
EBIT1,4 | 34,13 | 34,95 | 33,24 | 28,92 | 11,67 | -0,11 | -0,84 | |
EBIT-Marge5 | 23,47 | 24,38 | 23,20 | 22,78 | 19,66 | -0,21 | -1,82 | |
Jahresüberschuss1 | 32,85 | 32,61 | 17,96 | 23,29 | -16,31 | 11,91 | -1,51 | |
Netto-Marge6 | 22,59 | 22,75 | 12,53 | 18,35 | -27,48 | 22,25 | -3,27 | |
Cashflow1,7 | 25,90 | 24,81 | 29,88 | 18,15 | 10,50 | -5,02 | 0,16 | |
Ergebnis je Aktie8 | 4,68 | 4,65 | 2,56 | 3,32 | -2,32 | 1,62 | -0,21 | |
Dividende8 | 7,50 | 6,50 | 2,00 | 2,50 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: PKF Fasselt Schlage |
Aber auch rein operativ spielt die Regulierung weiter eine wichtige Rolle: Etwa in Bezug auf das Ausmaß des in Deutschland erlaubnisfähigen Wettangebots oder auch mit Blick weitere Auflagen wie Spiellimits für die Kunden. Insgesamt spiegelt sich das ohnehin schwer zu beziffernde mögliche Restrisiko für bet-at-home.com in einer verrückten Bewertung wider. So übersteigend allein die per Ende des ersten Quartals 2024 ausgewiesenen liquiden Mittel von gut 34,5 Mio. Euro signifikant den gesamten Börsenwert des ehemaligen SDAX-Unternehmens von zurzeit nur knapp 22 Mio. Euro. „Die rechtlichen Unsicherheiten sind stark eingepreist“, wie Falchetto es bei seiner Präsentation ausdrückt.
Eine Konstellation, die es derart ausgeprägt bei keiner anderen Aktie aus der Datenbank von boersengefluester.de gibt. Chancen und Risiken gibt es also in Hülle und Fülle. Da spielt die offizielle Prognose für 2024 mit Brutto-Wett- und Gamingerträgen (Spielvolumen minus ausbezahlter Gewinne) zwischen 45 und 53 Mio. Euro sowie einem Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) vor Sondereinflüssen aus Kundenklagen von minus 1,0 Mio. bis plus 2,5 Mio. Euro fast schon eine untergeordnete Rolle. Last but not least hofft die Gesellschaft natürlich, dass sich die für ein Jahr mit Fußball-EM oder -WM typischerweise nochmals heraufgesetzten Werbeausgaben von allein 4,5 Mio. Euro im ersten Quartal 2024 am Ende lohnen und möglichst viele Kunden bei der Stange bleiben.
Immerhin: Nachdem die bet-at-home.com-Aktie lange Zeit komplett out bei Investoren war, kommt der Titel zurzeit wieder zurück auf den Radar einiger Anleger und nähert sich sogar erstmals nach ewiger Zeit wieder der 200-Tage-Durchschnittslinie an. Vielleicht doch ein wenig EM-Fieber? Bei der Konferenz von mwb Research war das Interesse an dem Titel jedenfalls überdurchschnittlich hoch. Geeignet ist die Aktie aber nur für sehr mutige Anleger.
Foto: Unsplash+
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