Interviews gibt der Kulmbacher Unternehmer, Investor und Verleger Bernd Förtsch normalerweise eher nicht. Umso freut es boersengefluester.de, dass sich Bernd Förtsch so viel Zeit für ein ausführliches Gespräch mit uns genommen hat. Schwerpunktmäßig geht es um den Discountbroker flatexDEGIRO, wo der Unternehmer weiterhin zu den Ankeraktionären gehört. Insbesondere die weitere strategische Entwicklung sowie das in der öffentlichen Wahrnehmung zurzeit vielfach durch schlagzeilenträchtige Zinsangebote gekennzeichnet Wettbewerbsumfeld im Brokerage-Bereich treiben Bernd Förtsch um. Entsprechend pointiert ist seine Einschätzung zu diesen Themen. Nicht weniger interessant ist aber auch sein erstes Fazit nach der Übernahme von wesentlichen Teilen des Finanzen Verlags (BÖRSE ONLINE, Euro am Sonntag, Euro), die seit Ende 2021 nun die selbe Heimat haben wie die Kulmbacher Anlegermagazine rund um das Flaggschiff DER AKTIONÄR.
Herr Förtsch, Sie halten direkt und indirekt knapp 19 Prozent an dem Discountbrokerverbund flatexDEGIRO. Ist FlatexDegiro damit noch immer ein Familienunternehmen, oder wie würden Sie die Konstellation bezeichnen?
Bernd Förtsch: Nein. Spätestens seit der Übernahme von DEGIRO ist flatex kein Familienunternehmen mehr. Ich bin ja auch nicht ins operative Geschäft eingebunden. Dennoch spreche ich ab und an mit den Vorständen sowie den Aufsichtsräten. Denn natürlich habe ich Ideen und mache mir Gedanken – immerhin ist flatexDEGIRO eine Kernbeteiligung für mich. Aber das ist doch ganz normal. Dass mein Team und ich uns Gedanken machen, trifft auch auf andere Unternehmen zu, wo ich weitaus weniger Anteile halte. Das Besondere an flatex, der Grund für die tiefe Verbundenheit zu diesem Unternehmen, ist, dass ich die Firma gegründet habe. Und auch heute bin ich noch größter Einzelaktionär und will das auch bleiben.
Großer Sprung zurück: Im Jahr 2006 hat flatex mit dem Flatrate-Preismodell der Konkurrenz ordentlich eingeheizt – war sozusagen der junge Wilde. Mittlerweile hat sich das Blatt gewandelt und eine Menge Neobroker buhlen um Kundschaft. Welches Image hat Flatex Ihrer Meinung nach derzeit in der Community?
Bernd Förtsch: Ich glaube, dass flatex bei den Kunden ein gutes Image hat, weil man eine ordentliche und saubere Abwicklung liefert. Das ist ja auch das Kernthema von flatex. Die Bank hat circa 2,5 Millionen Kunden in Europa und wickelt jährlich rund 100 Millionen Transaktionen ab. Das ist ja nicht ganz so trivial, auch wenn es von außen immer alles sehr einfach aussieht.
Dann gibt es aber auch noch die Aktien-Community. Wie sehen Sie flatexDEGIRO hier positioniert?
Bernd Förtsch: Die Frage kann ich im Prinzip auch zurückgeben. Sie sind schließlich ein profunder Kenner der Small- und Midcap-Szene, Herr Kruse. Also wie sehen Sie flatexDEGIRO positioniert?
Gut, dann lege ich mal los – am besten ganz unabhängig vom Kursverlauf der Aktie, denn der ist seit Mitte 2021 nunmal alles andere als erfreulich. Boersengefluester.de beschäftigt sich nun seit gut acht Jahren mit flatex bzw. der FinTech Group, wie das Unternehmen damals hieß. Damals kannte das Unternehmen auf Kapitalmarktkonferenzen tatsächlich kaum jemand. Und wenn, wurde die Aktie immer im Zusammenhang mit Ihnen, Herr Förtsch, genannt. Das hat sich in der Tat massiv geändert. Da braucht man sich eigentlich nur die Earnings Calls anhören und gucken, wer die Fragen stellt. Das sind ganz andere Adressen und Analysten als früher.
Bernd Förtsch: Ja, auf der institutionellen Seite hat sich einiges geändert, zum Positiven, das muss ich ganz klar sagen. Ein bisschen Nachholbedarf in Sachen Bekanntheitsgrad, aber auch und insbesondere bei der Positionierung der Marke in der Anlegerschaft gibt es aber trotzdem.
In unserem Vorgespräch hatten sie gesagt: „Ich will flatex stärker in die Szene zurückholen“. Was meinen Sie damit genau?
Bernd Förtsch: flatexDEGIRO ist ein Wachstumsunternehmen mit starker Präsenz in Deutschland und Europa. Das kommt in der Außendarstellung viel zu kurz. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen 400.000 neue Kunden gewonnen. Das spiegelt sich in der Bewertung mit einem KGV von vermutlich 8 bis 10 nur unzureichend wider. Da kann man schon einen Schnaps drauflegen: Beim Aktienkurs, aber auch in der Präsenz. Dabei muss ich sagen, dass es im Grunde nicht im Sinne von Wettbewerbern wie Trade Republic oder Scalable Capital sein kann, dass sie zurzeit eine derart hohe Präsenz in den Medien haben – und zwar nicht aufgrund ihres vermeintlichen Kerngeschäfts, sondern wegen ihrer Zinsangebote. Die Wahrnehmung ist doch am Ende entscheidend – was will ich sein? Ein Neo-Broker? Ein Zinsvermittler wie Weltsparen? Eine Vollbank? Dazu muss man wissen: Die Zins-Thematik ist alles andere als ein Erfolgsgarant für Brokerage-Unternehmen. Das hat vor 20 Jahren nicht funktioniert, dass du über diesen Weg Trades-Kunden bekommst. Und das wird in der heutigen Zeit, wo man sein Geld innerhalb von Sekunden von Konto zu Konto transferieren kann, auch nicht funktionieren. Wir haben diese Diskussion mehr als nur einmal geführt – flatex ist schließlich zu einer Zeit entstanden, als eben dieses Festgeld-Hopping angesagt war.
Zumindest einen Marketingcoup haben Trade Republic und Scalable Capital aber schon gelandet. Inwiefern treffen diese Aktionen der Konkurrenz flatexDEGIRO möglicherweise doch?
Bernd Förtsch: Ich bin der Meinung, dass wir es mit total verschiedenen Kundengruppen zu tun haben. flatex hat vergangenes Jahr jede Menge Kunden gewonnen, und Trade Republic hat ebenfalls viele Kunden dazu bekommen. Bestimmt gibt es eine Schnittmenge, aber die wird glaube ich nicht sonderlich groß sein. Es gibt ja den ein oder anderen, der angesichts der Bewertungsunterschiede kürzlich den Rechenschieber hervorgeholt hat. Fakt ist: flatex macht mehr Umsatz je Kunde, wickelt mehr Trades ab, wächst ebenso schnell und schreibt auch noch Gewinne. Und dennoch ist die Firma an der Börse nur einen Bruchteil dessen wert, was im Private Equity-Sektor für Neobroker wie Scalable und Trade Republic aufgerufen wird. Am Ende muss jeder Anbieter und auch jeder Investor selber wissen, was für ihn sinnvoll ist. Wir haben freie Märkte und das ist gut so. Ich bekenne mich ganz klar zu flatexDEGIRO.
Für flatexDEGIRO wäre es Ihrer Meinung also nicht clever, jetzt mit in den Zinswettbewerb einzusteigen?
Bernd Förtsch: Hier sind wir bei einem Punkt, der für mich wirklich wichtig ist. Ja: Ich hoffe, dass sich das Management von flatexDEGIRO nicht auf diese Form der Marketing-Aktivitäten der Neo-Broker einlässt. Ich denke, wir sollten viel eher über einen für die Kunden noch günstigeren Kreditzins nachdenken. Das passt viel besser zur DNA des Unternehmens.
Quasi alle Beobachter sind sich einig, dass es zu einer heftigen Konsolidierung im Brokeragesektor kommen wird. Was meinen Sie: Wie wird so eine Konsolidierung konkret aussehen?
Bernd Förtsch: Es dürfte eine Mischung aus Übernahmen, Zusammenschlüssen und vereinzelnd auch der Einstellung von Geschäften geben. Am Ende wird es ein Thema der Investoren sein, die das vorantreiben. Derzeit findet offensichtlich eine Art Endkampf um die Kunden statt. Es kommt aber die Zeit, wo die Private Equity-Investoren Erträge sehen wollen. Zumindest bei den großen Neo-Brokern, die ja noch extremst gut finanziert sind, wird das aber wohl erst ein Thema für 2024 oder 2025 werden. Hinzu kommt, dass wir bei der Preisgestaltung für die einzelnen Trades meiner Meinung nach die Tiefs gesehen haben. Es ist ja nicht ganz trivial, ein Wertpapier von A nach B zu bewegen. Wir wissen das, weil wir die Abwicklung selbst machen. Und da steht ja den Neobroker-Kollegen noch einiges bevor – inklusive Banklizenzen. Marketing zu machen und neue Kunden zu gewinnen ist die eine Seite. Sauber zu exekutieren, die andere Seite. Und auf der ist es nicht ganz so angenehm. Das ist eher Maschinenraum. Dann ist das Sonnendeck passé. Um es aber klar zu sagen: Ich schätze Unternehmertum, ich schätze Start-ups. Das wird eine interessante Sache.
Welche Rolle nimmt flatexDEGIRO in diesem Prozess ein?
Bernd Förtsch: Ohne jetzt mit dem Management gesprochen zu haben. flatex kann aktiv konsolidieren und kann Kunden migrieren. Da wird es einige, auch größere Institute geben, für die es nach meiner Meinung durchaus sinnvoll sein kann, vielleicht mal drüber nachzudenken, das Geschäft – an wen auch immer – abzugeben. Man muss sich hier nichts vormachen: Die hinter dem Broker stehenden Abwickler brauchen Masse, denn so wird das Geschäft getrieben. Kontoeröffnung, Trades sowie die Lieferung und Zahlung – das alles kostet Geld. Und irgendwo kann ich mir vorstellen, dass vielleicht der eine oder andere dann sagt: „Mensch, wir müssen auf der Kostenseite was tun.“ Das sind normale Prozesse.
Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang das regulatorische Umfeld ein?
Bernd Förtsch: Vielleicht ist es nicht angenehm und ganz bestimmt anspruchsvoll. Aber es ist gut, dass es eine Regulierung wie die BaFin gibt. Schauen Sie sich das ganze Crypto-Thema an, wo es mehr oder weniger keine Regulierung gab. Im Endeffekt braucht man gute Leute im Maschinenraum, wie vorhin schon beschrieben. Was die Leute da leisten, da habe ich wirklich großen Respekt vor. Das ist absolut anstrengend, wenn du 80 oder 100 Millionen Transaktionen im Jahr europaweit abwickelst. Umso mehr danke ich allen Mitarbeitern des Unternehmens, die das möglich machen. Ich bin stolz darauf, Teil dieser Erfolgsgeschichte zu sein.
Ende 2022 musste aber auch flatexDEGIRO einräumen, dass es eine Sonderprüfung der BaFin gab und die Finanzbehörde umfangreiche Veränderungen einforderte. An der Börse kam das gar nicht gut an.
Bernd Förtsch: Stimmt. Leider ist es so, dass die Erwähnung der BaFin in Zusammenhang mit einer Bank zunächst einmal nie zu einer positiven Reaktion am Markt und in den Medien führt. Tatsächlich hat die BaFin ganz viele Institute auf den Prüfstand gestellt und ähnliche Anpassungen gefordert wie nun bei flatex. Das tut sie im Übrigen regelmäßig, weil es ihr Job ist. Der Unterschied zu den Wettbewerbern ist: flatex hat das Ergebnis proaktiv kommuniziert, andere nicht. Das war mit Blick auf die Kursentwicklung unangenehm – keine Frage. Aber zur Wahrheit zählt auch: flatex hat in dieser Situation auch Stärke gezeigt. Die deutlich erhöhte Eigenkapitalanforderung – 50 Millionen Euro mehr bei der flatexDEGIRO Bank AG – hat die Firma aus eigenen Mitteln ohne Schwierigkeiten sofort erfüllt. Dass die Aktie dann dennoch so stark gefallen ist, öffnet natürlich auch gewisse Chancen. Ich habe jedenfalls als Reaktion auf den Einbruch Aktien gekauft.
Verraten Sie auch, wieviele flatexDEGIRO-Aktien Sie gekauft haben, Herr Förtsch?
Bernd Förtsch: Ich habe 700.000 Aktien gekauft. Klare Aussage von mir: Ich glaube an die Aktie. Es gibt bestimmt schlechtere Opportunitäten im Markt. Und nur wenige, die besser sein könnten.
Zumindest vor der BaFin-Sonderprüfung hat der Vorstand von flatexDEGIRO Dividenden und/oder Aktienrückkäufe als Investor Relations-Instrumente thematisiert. Wie stehen Sie dazu?
Bernd Förtsch: Das stand in der Tat zur Diskussion. Ich kann es kurz machen, zumindest was Aktienrückkäufe angeht. Dieses Instrument finde ich nicht gut. Dann weiß man mit dem Geld einfach nichts Besseres mehr anzufangen, als die Aktien, die man vorher ausgegeben hat, um Kapital einzusammeln, wieder zurückzuholen. Und ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich sehe es schon so, dass flatex das Kapital durch das operative Geschäft deutlich mehren kann. Sei es durch Wachstum, sei es durch Zukäufe, sei es möglicherweise durch neue Geschäftsaktivitäten. Unabhängig davon, kann man bei einem richtig guten Jahr auch mal eine Dividende ausschütten. Über solche Sachen würde ich mich auch freuen. Aber was ist daran schlimm, wenn flatex keine Aktien zurückkauft oder keine Dividende ausschüttet? Ich sehe das eher als Luxusproblem. Entscheidend ist, dass das Unternehmen seine Wachstumspotenziale voll ausschöpft.
Was geht denn noch?
Bernd Förtsch: Schauen Sie. Am Ende suchen alle quasi die letzte Meile, den direkten Zugang zum Kunden. Wenn ich heute in der Entwicklung einer Börse wäre, dann würde ich mir als erstes meine Kunden kaufen. Und meine Kunden sind am Ende die Broker, weil der Broker den direkten Kundenkontakt hat und so seine Transaktionen zur Börse kanalisiert. Wenn Sie heute die Transaktion plus den Kunden haben, dann sind Sie schon mal in der entscheidenden Position. Aber auch auf der Produktseite sehe ich noch viele Möglichkeiten. Spannend finde ich zum Beispiel Themen wie Finanzguru, wo es darum geht ein Overlay für verschieden Finanzkonten und -verträge anzubieten. Potenzial hat flatex aber auch im IPO-Bereich, wo die Firma noch nicht so stark vertreten ist. flatex hat den direkten Kundenzugriff, der Kunde handelt, der Kunde hat Vertrauen in das Produkt, der Kunde kennt flatex. Da eröffnen sich sicherlich eine Menge additive Möglichkeiten.
Kompletter Themenwechsel: Sie sind ja nicht nur Ankeraktionär von flatexDEGIRO, sondern auch Vorstand der Börsenmedien AG aus Kulmbach, die das Anlegermagazin DER AKTIONÄR herausgibt. Im November 2021 haben Sie für Schlagzeilen gesorgt, weil Sie den Münchner Finanzen Verlag mitsamt BÖRSE ONLINE gekauft haben. Verraten Sie uns, wie ihr bisheriges Fazit ausfällt? Das Kapitalmarktumfeld war ja alles andere als förderlich.
Bernd Förtsch: Man erwischt nie den perfekten Zeitpunkt an der Börse. Als wir die Übernahme Ende 2021 gemacht haben, habe ich meinen Leuten gesagt, dass das kommende Jahr womöglich kein gutes Jahr wird. Irgendwann endet einfach jeder Zyklus. Aber wir sind die Transaktion unternehmerisch angegangen und haben viel investiert und neue Leute wie Frank Pöpsel von Focus Money an Bord geholt. Glauben Sie mir: BÖRSE ONLINE war immer Vorbild für mich, zu dem Magazin habe ich stets hochgeschaut. Das ist eine extrem starke Marke, wie Euro am Sonntag und Euro übrigens auch. Daher bin ich sehr stolz drauf. Das Jahr 2023 wird aber sicherlich spannend, weil wir weiter digitalisieren müssen. Natürlich haben wir da ein Anspruchsdenken und müssen versuchen, dass wir in unserem Markt ordentlich vorankommen. Das ist aber normal und jedem klar. Wir haben eine gesunde Konkurrenz im eigenen Haus.
Wie groß sind die Überschneidungen bei den Lesern zwischen BÖRSE ONLINE und DER AKTIONÄR?
Bernd Förtsch: Sie werden lachen. Sie sind viel geringer, als wir erwartet haben – was ich auch erstaunlich finde. Und so haben wir beide Magazine auch so positioniert, dass man sie durchaus zusammenlesen kann. Zudem haben wir die Mittel und die Technik, die Medienangebote weiter nach vorn zu bringen. Ein Beispiel: Wir beginnen bei BÖRSE ONLINE jetzt mit Börsendiensten. Der Kollege Lars Winter wird demnächst mit dem „Lars Winter Report“ starten, zwei drei andere werden folgen. Ich sehe da extreme Effekte auf beiden Seiten. Das heißt: Der AKTIONÄRS-Leser wird ein Angebot bekommen, mal eine BÖRSE ONLINE zu lesen – und umgekehrt. Lassen Sie mich aber noch eins sagen: Mit Kulmbach, München, Frankfurt und Berlin haben wir starke Standorte für extrem interessante Aufgaben. Da sind bereits eine Menge innovative junge Leute dazugekommen und wir suchen noch immer Verstärkung. So kann ich das Interview hier gleich mit einer Stellenanzeige abschließen.
Gern doch! Vielleicht melden sich ja interessante Kandidaten. Vielen Dank auf jeden Fall schon jetzt für das Interview, Herr Förtsch. Das Gespräch führte Gereon Kruse.
Fotos: Börsenmedien AG