Steckt ein Masterplan von Großaktionär Thomas van Aubel dahinter oder sind die Verhandlungen um den Verkauf des operativen Betriebs von Balda einfach nur aus dem Ruder gelaufen? So ganz genau lässt sich das zurzeit kaum beantworten. Fakt ist, dass sich um das Geschäft mit Kunststoffprodukten für den Einsatz im Medizin- oder Automobilbereich ein vertrackter Bieterwettkampf entfacht hat, der in dieser Form so gar nicht zu erwarten war. Jedenfalls hat die Beteiligungsgesellschaft Paragon – mit der sich zumindest Balda-Aufsichtsratschef van Aubel bereits handelseinig war und die sich in der Ausschreibung gegen Heitkamp & Thumann (H&T) aus Düsseldorf durchgesetzt hatte – ihre ursprüngliche Offerte nun nachgebessert. Dabei sind auch Details aus dem Ursprungsangebot ans Licht gekommen, die so bislang noch unbekannt waren: Neben dem um 3 Mio. auf 65,9 Mio. Euro erhöhten Sockelbetrag gab es nämlich auch die Option für Paragon, von Balda ein mit 7,5 Prozent über dem Drei-Monats-EURIBOR (Euro Interbank Offered Rate) verzinstes Darlehen in Höhe von bis zu 25 Mio. Euro zu verlangen – Laufzeit drei Jahre. Sicher kalkulieren hätte Balda mit den Zinseinkünften allerdings nicht können, denn neben der variablen Höhe für die Inanspruchnahme des Kredits, hatten sich die Münchner zunächst auch das Recht zubilligen lassen, die Vereinbarung zu jedem Quartalsende vorzeitig tilgen zu können. Auch in diesem Punkt hat Paragon nun nachgebessert und bietet an, das Darlehen auf 28 Mio. Euro aufzustocken, es fest in Anspruch zu nehmen und auf eine vorzeitige Tilgung zu verzichten.
Unter der Annahme eines einigermaßen konstanten EURIBORs bekäme Balda in den kommenden drei Jahren dadurch weitere rund 6,2 Mio. Euro. Summa summarum würde sich der Gesamterlös aus der Paragon-Transaktion auf brutto 75,9 Mio. Euro türmen. Dem steht das Anfang Oktober nachgeschobene Angebot von H&T über 73,9 Mio. Euro entgegen. Direkt vergleichbar sind beide Offerten aufgrund der Kreditvereinbarung mit Paragon allerdings nicht. Zudem machen die Private-Equity-Strategen von Paragon die Wirksamkeit ihres zweiten Angebots davon abhängig, dass weder H&T noch ein möglicher Dritter einen neuen Preis von mindestens 74 Mio. Euro aufrufen. „Tritt ein solcher Fall ein, so ist die Balda AG verpflichtet, an Paragon eine Abstandszahlung von 1,4 Mio. Euro zu leisten”, heißt es offiziell. Offen ist, wie sich H&T jetzt verhalten wird. Eine entsprechende Anfrage an die H&T beratende Kommunikationsagentur hat boersengefluester.de bereits gestellt. Legt H&T noch einen drauf, bleiben die Düsseldorfer bei der bisherigen Höhe oder zieht sich der Firmenverbund möglicherweise sogar zähneknirschend ganz zurück?
Spätestens auf der nun für den 30. November in Hannover angesetzten Hauptversammlung wird es zum Showdown kommen. Dann wird nacheinander über beide Optionen abgestimmt. Voraussetzung, dass es überhaupt zu einer Entscheidung kommt, ist eine Dreiviertel-Mehrheit des anwesenden Kapitals. Wichtig: Die Balda-Chefaufseher van Aubel zurechenbare Elector GmbH – ihr sind 29,43 Prozent der Stimmen zuzurechnen – hat sich verpflichtet, auf der HV für den Verkauf an Paragon zu votieren. Eine entsprechende Stimmrechtsübertragung ist bereits eingegangen. Eine konkrete Handlungsempfehlung von Vorstand und Aufsichtsrat an die Privatanleger gibt es dagegen bislang nicht. Im Vorwort des Geschäftsberichts 2014/15 warb Balda-CEO Oliver Oechsle lediglich dafür, überhaupt für den Verkauf des operativen Geschäfts zu stimmen. Damals war die Gemengelage allerdings auch noch nicht so kompliziert. Letztlich hängt nun viel davon ab, wie groß die Stimmpräsenz in Hannover sein wird und ob H&T nochmals aufpoliert. Beispiel: Bei einer Anwesenheit von 45 Prozent des Kapitals hätten die Stimmen von Paragon ein Gewicht von gut 65 Prozent. In diesem Fall bräuchten die Münchner also noch Unterstützung aus dem restlichen Aktionärskreis, um auf die nötige 75-Prozent-Mehrheit zu kommen. Auf Basis der jetzigen Sachlage könnte dieses Unterfangen jedoch klappen. Sollte H&T wiederum ihre bisherige Offerte auf mehr als 74 Mio. Euro aufstocken, wäre Paragon komplett aus dem Rennen, würde allerdings die Abstandszahlung kassieren. Dann wiederum hängt es davon ab, wie sich Elector verhalten wird – im Normalfall müssten die Stimmen aber wieder an das Vehikel von van Aubel zurückfallen. Da ein Verkauf des operativen Geschäfts – zumindest grundsätzlich – beschlossene Sache ist, hätte H&T dann gute Karten.
Derweil lässt die Börsianer das neue Kapitel noch relativ unbeeindruckt. Zumindest mit Blick auf den Gesamtwert des Unternehmens halten sich die Unterschiede zwischen den Offerten allerdings auch in überschaubaren Regionen. Wie lautet die grobe Überschlagsrechnung? Nach dem Verkauf hätte Balda kein operatives Geschäft mehr, dafür aber – die Drei-Jahres-Laufzeit für den Kredit außen vor gelassen – knapp 76 Mio. Euro (brutto) zusätzlich in der Tasche. Hinzu kommen liquide Mittel von zurzeit netto rund 175 Mio. Euro (je nach Betrachtungsweise). Davon würden insgesamt knapp 117 Mio. Euro für Dividende und zeitversetzt Kapitalrückzahlung abfließen. Bleiben brutto rund 134 Mio. Euro übrig – das wären knapp 2,30 Euro je Balda-Aktie. Anleger, die beim gegenwärtigen Kurs von 3,30 Euro kaufen, bekommen also nach der HV eine zu versteuernde Dividende von 1,10 Euro (netto bleiben davon 0,81 Euro übrig) sowie in einem guten halben Jahr eine steuerfreie Kapitalrückzahlung von 0,90 Euro ausgezahlt – summa summarum also rund 1,70 Euro je Aktie. Vom Aktienkurs werden rein rechnerisch 2,00 Euro abgezogen – die Notiz würde demnach auf 1,30 Euro fallen. Bleibt eine Differenz von rund 1 Euro je Aktie – und die ist der potenzielle Kurstreiber. Ein kleiner Teil davon wird zwar für Anwalts- und Beratungskosten etc. draufgehen. Sollte Balda jedoch ein überzeugendes Konzept vorlegen, was mit der übrig gebliebenen Liquidität angefangen werden soll, gibt es eigentlich keinen schlagenden Grund für einen derart hohen Sicherheitsabschlag.