Ein wenig gesunder Menschenverstand hätte im Normalfall reichen müssen, um zu erkennen, dass bei dem zweiten Börsenanlauf der AlzChem Group – diesmal über den Mantel der Softmatic AG – zuletzt etwas gehörig schief lief. Kurze Rückblende: Anfang 2017 gibt der Spezialchemiekonzern AlzChem seine IPO-Pläne bekannt. Doch das Angebot scheitert an den zu hohen Preisvorstellungen. Bei voller Zuteilung wäre die Gesellschaft, je nach Platzierungspreis, auf eine Marktkapitalisierung zwischen 162 und 219 Mio. Euro gekommen. Dabei hätten dem Unternehmen aus Trostberg zwischen 40 und 54 Mio. Euro aus einer Kapitalerhöhung zufließen sollen. Einige Zeit später sickerte durch, dass AlzChem die Kapitalmarktambitionen nicht gänzlich ad acta gelegt hat, das IPO nun aber mit Hilfe der Börsenhülle des früheren Neuer-Markt-Werts Softmatic umsetzen will.
Grundsätzlich ist das nichts Ungewöhnliches, zumal der Strippenzieher bei der AlzChem-Transaktion, Prof. Dr. Dr. Peter Löw, vor rund 15 Jahren mit der Wiederbelebung der AG Bad Salzschlirf in die Beteiligungsgesellschaft Arques (heute Gigaset) schon einmal für Furore gesorgt hat – allerdings auch verbrannte Erde hinterließ. Losgelöst davon: In einem ersten Schritt wurde im Spätsommer 2017 die AlzChem Group in die Softmatic AG eingebracht: Kurz zuvor gab es ein Gutachten, wonach die früher schon einmal als SKW Trostberg (später Degussa AG) gelistete Gesellschaft 250,59 Mio. Euro wert sein sollte. Um mögliche Risiken abzufedern, setzten die beteiligten Personen die AlzChem Group bei der Einbringung jedoch um rund 20 Mio. Euro niedriger an. Indirekte Folge der Transaktion war, dass sich die Aktienzahl der Gesellschaft (damals noch Softmatic AG) von 310.000 auf 100.633.339 Stück erhöhte, was wiederum eine extreme Verwässerung für die noch vorhandenen Streubesitzaktionäre der Softmatic AG bedeutete.
Um diesen Bedeutungsverlust auszugleichen, folgte eine für den Free Float reservierte Barkapitalerhöhung im Verhältnis 1:447 mit einem Bezugskurs von ebenfalls 2,30 Euro. Bei bis zu 38.246.661 Aktien hätte sich ein Mittelzufluss von brutto fast 88 Mio. Euro ergeben können. Doch die Offerte verpuffte, was bei dem Bezugsverhältnis auch kein Wunder ist. Gerade einmal 1.130.016 neue Aktien wurden platziert und sorgten für einen Mini-Emissionserlös von knapp 2,6 Mio. Euro. Neue Aktienzahl: 101.763.335 Stück. Verglichen mit dem, was die Kapitalerhöhung und insbesondere die Bezugsrechte mit dem Aktienkurs auslösten, sind das aber ohnehin nur Peanuts. Immerhin schoss die Notiz von 2,44 Euro auf über 10 Euro – in der Spitze waren es sogar fast 14 Euro. Eine verhängnisvolle Illusion, die sich mit nahendem Ende der Bezugsfrist auflösen musste. Schließlich wäre die AlzChem Group zum offiziellen Börsenstart am 9. Oktober 2017 sonst auf eine Marktkapitalisierung von mehr als 1 Mrd. Euro gekommen – viermal so viel, wie die Gutachter erst wenige Monate zuvor als faires Niveau ermittelt haben.
Und so platzte die Seifenblase: Die ehemalige Softmatic-Aktie knickte im Verlauf der Bezugsfrist um mehr als 80 Prozent ein. Dabei hatte boersengefluester.de rechtzeitig vor der dramatischen Überbewertung (siehe HIER) gewarnt. Gleichwohl beginnt für die AlzChem Group nun eine neue Zeitrechnung als börsennotierte Gesellschaft. „Wir sind überzeugt, dass der Schritt an den Kapitalmarkt für eine nachhaltig positive Unternehmensentwicklung sehr hilfreich ist. Wir eröffnen uns damit eine weitere Option, um unser zukünftiges Wachstum zu finanzieren“, sagt Ulli Seibel, der Vorstandsvorsitzende der AlzChem Group. Beim gegenwärtigen Aktienkurs von 2,50 Euro beträgt die Marktkapitalisierung gut 254 Mio. Euro – bei Netto-Finanzverbindlichkeiten von knapp 25 Mio. Euro.
Die Neun-Monats-Zahlen wird AlzChem am 14. November vorlegen, doch bereits die Halbjahresresultate deuten mit einem Plus des Ergebnisses vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) von knapp 15 Prozent auf 27,9 Mio. Euro auf ein moderates Wachstum. Boersengefluester.de kalkuliert für das Gesamtjahr derzeit mit einem EBITDA von 43,3 Mio. Euro, womit AlzChem – bezogen auf den Unternehmenswert (Enterprise Value) – etwa mit dem 6,4fachen des EBITDA für 2017 bewertet wird. Das liegt auf einer Wellenlänge mit vergleichbaren Unternehmen wie Lanxess (EV/EBITDA: 6,76), Evonik (7,62), Wacker Chemie (7,12) oder H&R (5,68). Eine gute Halten-Position ist die mittlerweile im Prime Standard gelistete Aktie von AlzChem für uns also allemal, zumal von der Abgabeseite erst einmal keine größeren Beschüsse drohen. Die Altaktionäre haben sich zu einer Lock-up-Periode von 1 Jahr verpflichtet. Nur mit einer Dividende sollten Anleger frühestens ab 2019 rechnen.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 344,00 | 375,22 | 376,07 | 379,26 | 422,29 | 542,22 | 540,65 | |
EBITDA1,2 | 43,30 | 49,38 | 50,08 | 53,81 | 62,05 | 61,44 | 81,37 | |
EBITDA-Marge3 | 12,59 | 13,16 | 13,32 | 14,19 | 14,69 | 11,33 | 15,05 | |
EBIT1,4 | 27,20 | 34,19 | 30,59 | 30,71 | 37,57 | 35,90 | 55,47 | |
EBIT-Marge5 | 7,91 | 9,11 | 8,13 | 8,10 | 8,90 | 6,62 | 10,26 | |
Jahresüberschuss1 | 16,50 | 22,78 | 18,15 | 19,87 | 27,76 | 30,22 | 34,79 | |
Netto-Marge6 | 4,80 | 6,07 | 4,83 | 5,24 | 6,57 | 5,57 | 6,44 | |
Cashflow1,7 | 33,00 | 34,66 | 43,63 | 48,71 | 43,02 | -4,24 | 72,67 | |
Ergebnis je Aktie8 | 1,90 | 2,30 | 1,77 | 1,94 | 2,72 | 2,96 | 3,40 | |
Dividende8 | 1,10 | 0,90 | 0,75 | 0,77 | 1,00 | 1,05 | 1,20 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: RSM Ebner Stolz |
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