Die Allterco JSCo ist ein Anbieter von IoT- und Smart-Home-Lösungen und trotz des Listings im Prime Standard der Deutschen Börse AG bisher nur wenigen Anlegern geläufig. Die vor kurzem veröffentlichten Zahlen für das Geschäftsjahr 2022 lesen sich indes sehr gut: Der Konzernumsatz kletterte kräftig von 30,6 auf 48,1 Mio. Euro, der Nettogewinn erhöhte sich um knapp 10 Prozent auf 8,9 Mio. Euro. Mit den vorgelegten Zahlen schaffte es Allterco, die eigenen Zielvorgaben zu übertreffen. Die knackige Wachstumsstory hatten wir bereits im Nachgang an die Hamburger Investorentage Anfang März aufgegriffen (HIER). Die Analysten von Montega veranschlagen den fairen Wert der Aktie auf umgerechnet knapp 19 Euro. Wolfgang Kirsch, Co-CEO von Allterco, blickt im Interview mit boersengefluester.de auf das Geschäftsjahr 2022 zurück und gibt einen Ausblick für 2023.
Herr Kirsch, woher kamen die größten Impulse für das kräftige Umsatzwachstum in 2022? Eher aus der allgemeinen Nachfrage nach smarten Lösungen, um zum Beispiel passend zum Zeitgeist Energie zu sparen, oder sind sie eine Folge der Investitionen in den Vertrieb samt regionaler Expansion?
Wolfgang Kirsch: Zunächst einmal haben wir auch 2022 die Entwicklung der vergangenen Jahre konsequent fortgesetzt, in denen wir jeweils in vergleichbarer Größenordnung gewachsen sind. Zusätzlich haben wir unser Sortiment erweitert und unsere Vertriebsaktivitäten regional ausgedehnt. Dabei steigt die allgemeine Nachfrage nach Smart-Home-Produkten nach wie vor stetig. Insgesamt wachsen wir mit unseren herausragenden Produkten allerdings deutlich stärker als der Markt.
Beim Blick auf die Daten zum Produktverkauf wird deutlich, dass Sie den durchschnittlichen Produktverkaufspreis gegenüber 2021 und 2020 um gut 4 Euro auf 15,42 Euro steigern konnten, woher kommt dieser Anstieg?
Wolfgang Kirsch: Im vergangenen Jahr haben sich unsere Produkte mit integrierten Energieverbrauchsmessgeräten und die Stand-alone-Energiemessgeräte im durchschnittlichen Verkaufspreis bemerkbar gemacht, da sie preislich über vergleichbaren Geräten liegen. Wir gehen davon aus, dass der Verkaufspreis dieser Produktkategorie nachfragegetrieben weiter langsam ansteigen wird. Was sich natürlich auch positiv im Umsatz bemerkbar machen wird. Bezogen auf Ihre Eingangsfrage, geht es nicht um einen Zeitgeist, sondern vielmehr um eine nachhaltige Entwicklung zum sparsamen Umgang mit Ressourcen. Dazu gehört auch das Sparen von Energie, indem man Stromfresser identifiziert und diese abschaltet, wenn sie nicht benötigt werden.
Trotz eines stattlichen Umsatzwachstums ist das EBIT nur untersproportional gewachsen, die EBIT-Marge im Jahresvergleich von 31 auf 22 Prozent zurückgegangen. Was sind hier die Gründe?
Wolfgang Kirsch: Dieser Effekt war geplant und ist auch angekündigt worden. Wir haben im vergangenen Jahr stark in unsere Strukturen investiert, um unser Wachstumstempo stetig steigern zu können. Dabei haben wir insbesondere in den Personalaufbau in Forschung und Entwicklung sowie Vertrieb investiert. Wir haben die Anzahl der Vollzeitbeschäftigten 2022 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Umso erfreulicher ist, dass es sich kostenseitig um einen Einmaleffekt handelt und wir für das laufende Jahr wieder von einer steigenden EBIT-Marge ausgehen. Wir werden zwar weiter in die richtigen Strukturen, neue Talente und Technologie investieren, die Kostensteigerungen werden aber unterproportional zum Umsatz ausfallen. Wir haben unseren Aktionären eine steigende EBIT-Marge versprochen und wollen dieses Versprechen auch einhalten.
Der deutsche Markt ist 2022 „nur“ um 10 Prozent gewachsen und damit schwächer als die DACH-Region insgesamt, woran liegt das?
Wolfgang Kirsch: Die DACH-Region ist nach wie vor die umsatzstärkste Region für Allterco. Gerade deshalb haben wir hier im vergangenen Jahr in lokale Vertriebsstrukturen investiert und unsere Vertriebsstrategie neu auf die verschiedenen Absatzkanäle ausgerichtet. Wir haben ganz bewusst auf den einen oder anderen Euro an Umsatz verzichtet, indem wir die Vertriebskanäle bereinigt haben. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn man zu viele Partner im Boot hat, die alle über Amazon Marketplace verkaufen, dann führt das zu unerwünschten Preiseffekten. Diese Strategie zahlt sich bereits aus, wie wir in den ersten Monaten des laufenden Jahres beobachten konnten, und wir erwarten für den weiteren Jahresverlauf ebenfalls eine sehr positive Entwicklung. Damit haben wir auch in der DACH-Region die Strukturen für ein nachhaltig starkes Wachstum geschaffen.
Vertriebsseitig haben Sie Verträge mit Rexel in Finnland und Lemvigh-Müller in Dänemark geschlossen, was versprechen Sie sich davon und was ist in dieser Hinsicht noch in der Pipeline?
Wolfgang Kirsch: Teil unserer mittelfristigen Strategie ist es, die Zusammenarbeit mit professionellen Installateuren und Elektrikern zu intensivieren. Hier gehört Rexel zu den führenden Großhändlern in Europa, während Lemvigh-Müller in Dänemark Marktführer ist. Die Geschäftsbeziehung mit den beiden Großhändlern in Nordeuropa ist ein wesentlicher Schritt zur Umsetzung unserer Strategie in diesem Marktsegment. Gemeinsam mit diesen beiden Partnern haben wir inzwischen über 1.000 Installateure geschult und viel positives Feedback erhalten. Gespräche in anderen Regionen laufen ebenfalls. Bisher verkaufen wir vor allem an Do-it-yourself-Kunden, aber der Markt für professionelle Installateure und Elektriker ist wesentlich größer. Diesen gilt es zu entwickeln und gleichzeitig für unsere treuen DIY-Kunden attraktiv zu bleiben.
Was sind derzeit die wichtigsten Vertriebskanäle für die Shelly-Produkte?
Wolfgang Kirsch: Derzeit erwirtschaften wir rund 80 Prozent unseres Umsatzes im B2B-Bereich. Dabei übernehmen Distributoren in den einzelnen Ländern den Vertrieb unserer Produkte und verkaufen an Baumärkte, Online-Shops sowie Elektro- und Netzwerkinstallateure. Für unsere Produkte ist der Online-Handel einer der wichtigsten Vertriebskanäle. Da viele unserer Produkte bereits seit einiger Zeit über Amazon Marketplace angeboten werden, haben wir uns im vergangenen Jahr entschieden, Amazon direkt zu beliefern. Dieser Schritt zahlt sich aus. Die Umsatzentwicklung bei Amazon ist äußerst positiv und gleichzeitig können wir die Warenströme effizienter steuern. Insgesamt wird der Bereich Elektro- und Netzwerkinstallation auch in den kommenden Jahren der wichtigste Vertriebskanal werden. Deshalb ist auch die oben beschriebene Partnerschaft mit spezialisierten Großhandelsunternehmen für uns so wichtig.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 19,99 | 23,09 | 17,11 | 23,69 | 30,55 | 48,10 | 74,90 | |
EBITDA1,2 | 2,02 | 2,08 | 0,46 | 8,26 | 10,10 | 10,90 | 21,20 | |
EBITDA-Marge3 | 10,11 | 9,01 | 2,69 | 34,87 | 33,06 | 22,66 | 28,30 | |
EBIT1,4 | 1,67 | 1,72 | 0,05 | 8,08 | 9,56 | 10,40 | 19,10 | |
EBIT-Marge5 | 8,35 | 7,45 | 0,29 | 34,11 | 31,29 | 21,62 | 25,50 | |
Jahresüberschuss1 | 1,38 | 1,33 | 3,73 | 6,87 | 8,16 | 8,90 | 16,80 | |
Netto-Marge6 | 6,90 | 5,76 | 21,80 | 29,00 | 26,71 | 18,50 | 22,43 | |
Cashflow1,7 | 0,68 | 0,30 | 3,25 | 2,07 | 4,15 | 0,20 | 7,70 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,08 | 0,07 | 0,20 | 0,38 | 0,45 | 0,49 | 0,93 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,10 | 0,05 | 0,07 | 0,13 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Primorska Audit Company |
Wie sieht es im Bereich der Forschung und Produktentwicklung aus, wird es im laufenden Jahr nennenswerte Produktneuheiten geben?
Wolfgang Kirsch: Für dieses Jahr können unsere Kunden sich auf eine Vielzahl neuer Produkte freuen. Zum einen führen wir bei vielen unserer Plug-&-Play-Geräte die Bluetooth-Technologie ein, was die Batterielaufzeit deutlich verlängert. Zum anderen bauen wir die Produktpalette der Pro-Geräte aus, die speziell für Elektro- und Netzwerkinstallateure gedacht sind. Schließlich erwarten wir nach der im Januar erfolgten Akquisition von Qubino Mitte des laufenden Jahres die ersten neuen Geräte im Z-Wave-Standard.
Was bedeutet die Übernahme von Qubino konkret für Allterco?
Wolfgang Kirsch: Qubino ermöglicht uns einen einfachen Zugang zur Z-Wave-Technologie. Damit erweitern wir unsere attraktive Produktpalette um einen weiteren Smart-Home-Standard und erschließen uns so neue Erlösquellen. Gemeinsam mit den Entwicklern von Qubino werden wir in diesem Jahr 10 bis 15 neue Produkte unter der Marke Shelly auf den Markt bringen. Wir gehen davon aus, mit den neuen Z-Wave-Geräten deutliche Impulse in diesem Marktsegment setzen zu können und erwarten bereits im zweiten Halbjahr 2023 vor allem aber ab 2024 einen deutlichen Umsatzbeitrag. Durch die Nutzung der Allterco-Ressourcen in Einkauf, Produktion, Supply-Chain und Vertrieb können wir die neuen Geräte deutlich unter den aktuellen Marktpreisen unserer Hauptwettbewerber auf den Markt bringen.
Sie haben auch eine Partnerschaft mit dem Halbleiterspezialisten Espressif geschlossen, um einen maßgeschneiderten Mikrocontroller für Shelly-Produkte zu entwickeln. Was bringt dieser Schritt und inwiefern verändert sich damit die Kostenbasis je Endgerät?
Wolfgang Kirsch: Unsere Zusammenarbeit mit Espressif entwickelt sich seit langem sehr erfolgreich. Nun werden wir gemeinsam diesen neuen Chip auf den Markt bringen, der es uns ermöglicht, neue Standards und zusätzliche Features in unsere Shellys zu integrieren, ohne auf bereits bestehende Funktionen verzichten zu müssen. So können wir die unübertroffene Flexibilität unserer Shelly-Produkte, die unser Kunden so schätzen, kompromisslos erhalten und weiter ausbauen. Auf die Kosten pro Gerät wird sich dieser Chip, wenn überhaupt, eher positiv auswirken. Schließlich produzieren wir inzwischen Stückzahlen, die uns erhebliche Preisvorteile bringen.
Das erste Quartal ist so gut wie um, können Sie bereits überblicken, wie es gelaufen ist und was sich als Konsequenz darauf für die bisherige Planung für das Jahr 2023, für das Sie 65 Mio. Euro Umsatz bei 24 Prozent EBIT-Marge in Aussicht gestellt haben, ergibt?
Wolfgang Kirsch: Das erste Quartal ist bisher sehr gut verlaufen. Leider kann ich Ihnen noch keine Details nennen. Was das Jahresziel betrifft, werden wir, wie im letzten Earnings Call angekündigt, Mitte Mai zusammen mit der neuen mittelfristigen Guidance mehr verraten.
Die Analysten von Montega trauen der Allterco-Aktie einen fairen Wert von umgerechnet gut 19 Euro zu – das wären mehr als 60 Prozent Potenzial. Was ist in Sachen Investor Relations geplant, um die Equity Story von Allterco noch präsenter zu machen?
Wolfgang Kirsch: Wir haben ja erst im vergangenen Jahr mit dem Zweit-Listing im Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse begonnen, unsere Equity Story europaweit aktiv zu kommunizieren. Im laufenden Jahr werden wir an mindestens drei bis vier Kapitalmarktkonferenzen teilnehmen, Roadshows durchführen und häufiger Updates veröffentlichen, die wir mit Earnings Calls zur Quartalsberichterstattung abrunden. Unter dem Strich lebt unsere Equity Story aber von der operativen Performance. Und da bin ich sehr zuversichtlich, dass wir weiterhin viel Positives zu berichten haben werden.
Herr Kirsch, vielen Dank für das Interview.
Wolfgang Kirsch ist Co-CEO von Allterco JSCo und verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung im Elektrofachhandel in Europa. Bis 2018 war er in leitender Position bei der MediaMarkt Saturn Retail Group tätig, zuletzt als Chief Operating Officer. Nachdem er die Expansion des Unternehmens in viele Länder erfolgreich geleitet hat, war er unter anderem für die Entwicklung der Eigenmarken, die Digitalisierung des Handels und die Verbindung von Online- und Offline-Kanälen in 16 Ländern verantwortlich. Im Anschluss daran unterstützte Wolfgang Kirsch mit seinem Beratungsunternehmen sowie als externer Berater bei McKinsey & Company internationale Konzerne und mittelständische Unternehmen bei der digitalen Transformation und Geschäftsentwicklung mit direkter Belieferung der Konsumenten. Als CEO von Allterco Europe fokussiert sich Wolfgang Kirsch auf die Entwicklung sowie den Ausbau des europäischen Geschäfts.
Fotos: Allterco/Shelly