Private Equity macht vor nichts halt. So hat das finnische Fahrschulunternehmen CAP-Group – hinter der die Beteiligungsgesellschaft Verdan steckt – mit der Rettig-Gruppe Mitte Mai 2021 Deutschlands bislang größte Fahrschule übernommen. Beide zusammen kommen nun auf einen Jahresumsatz von rund 40 Mio. Euro und etwa 550 Mitarbeiter. Auch wenn kein Kaufpreis veröffentlich wurde, interessant ist der Deal aus Kapitalmarktsicht insbesondere mit Blick auf die im Düsseldorfer Freiverkehr gelistete 123fahrschule SE. Immerhin hat es sich CEO Boris Polenske zur Aufgabe gemacht, das Thema Digitalisierung auch beim Büffeln für den Führerschein greifbar zu machen. „Die Fahrschulbranche bewegt sich im Mikro-Schneckentempo“, sagt Polenske im Hintergrundgespräch mit boersengefluester.de. Die meisten Unternehmen sind eher kleine Familienbetriebe im fortgeschrittenen Alter. Diese verkrusteten Strukturen will Polenske aufbrechen und akquiriert fleißig Fahrschulen – bislang vorwiegend in NRW und Berlin – zuletzt aber auch in Hamburg.
„Wir sind angetreten, eine Fahrschule mit 200 Standorten in ganz Deutschland zu betreiben“, sagt Polenske. Der aktuelle Fokus auf bevölkerungsreiche Regionen ist insofern leicht erklärbar, weil es – zumindest was den Praxisteil angeht – eine gesetzliche Ortsbindung gibt. So sollen die Fahranfänger dort lernen, wo sie sich hinterher vermutlich auch auf den eigenen zwei oder vier Rädern bewegen. Dabei hat Corona insbesondere den praktischen Part der Fahrausbildung zwar zwischenzeitlich lahm gelegt. Was die Theorie angeht, haben digitale Lernkonzepte, wie sie 123fahrschule oder das Berliner Start-up drivEddy anbieteten, zuletzt aber eher noch einen Schub bekommen. Und mit der Mitte Oktober 2020 via Börsenmantel gestarteten Notizaufnahme verfügen die Kölner nun über ein Vehikel, um den Wachstumskurs auch mit der nötige Finanzkraft zu unterlegen. Im März gab es bereits eine erste Kapitalerhöhung zu 10 Euro mit einem Mittelzufluss von brutto 5 Mio. Euro.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 0,00 | 1,40 | 3,90 | 4,27 | 7,76 | 16,67 | 20,61 | |
EBITDA1,2 | 0,00 | -2,40 | -3,10 | -2,18 | -3,79 | -2,66 | -0,89 | |
EBITDA-Marge3 | 0,00 | -171,43 | -79,49 | -51,05 | -48,84 | -15,96 | -4,32 | |
EBIT1,4 | 0,00 | -2,60 | -3,30 | -2,86 | -5,74 | -5,63 | -4,31 | |
EBIT-Marge5 | 0,00 | -185,71 | -84,62 | -66,98 | -73,97 | -33,77 | -20,91 | |
Jahresüberschuss1 | 0,00 | -2,04 | -2,89 | -1,99 | -4,48 | -4,38 | -3,91 | |
Netto-Marge6 | 0,00 | -145,71 | -74,10 | -46,60 | -57,73 | -26,27 | -18,97 | |
Cashflow1,7 | 0,00 | -1,80 | -2,68 | 1,81 | -6,96 | -2,77 | 0,39 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,00 | -1,12 | -1,59 | -0,82 | -1,85 | -1,41 | -0,80 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Morison Köln |
Auf der Hauptversammlung (HV) am 30. Juni 2021 will sich die Gesellschaft den Rahmen für weitere Maßnahmen ermächtigen lassen. Es geht um das volle Programm: von der Barkapitalerhöhung bis hin zur möglichen Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen. Um den perspektivisch drängendsten Engpassfaktor – junge Fahrschullehrer – zu beheben, denkt Polenske sogar über ungewöhnliche Instrumente wie die Emission einer „Bildungs-Anleihe“ über eine separate Gesellschaft nach, in der Privatanleger in die Schulung neuer Fahrschullehrer investieren können. Zunächst einmal muss es aus Investor Relations-Sicht aber darum gehen, die Handelbarkeit in der eigenen Aktie zu verbessern. Dazu dienen Gespräche wie die mit boersengefluester.de, aber auch die geplante Aufnahme in den Xetra-Handel soll die Liquidität erhöhen. Dem Vernehmen nach befinden sich von den zurzeit 1.814.480 Anteilscheinen rund ein Viertel im Streubesitz.
Großaktionäre sind – neben Boris Polenske – unter anderem die auch bei mVISE engagierte VentureCapitalDE aus Frankfurt, der Wuppertaler Frühphasenfonds BLSW sowie Dirk Ströer und Udo Müller vom SDAX-Konzern Ströer. Die Verbindung von Ströer kommt nicht von ungefähr, denn Multiunternehmer Polenske kooperierte schon vor vielen Jahren etwa mit der vom ihm gegründeten KlickTel – die später von Telegate (heute 11880 Solutions) übernommen wurde – eng mit Ströer. Schwer zu sagen, wie sich die Ankeraktionäre bei künftigen Kapitalmaßnahmen verhalten werden. Letztlich geht es darum, den Spagat zwischen höherem Streubesitz durch neue Investoren sowie der Finanzkraft des bestehenden Aktionariats hinzubekommen. Um erst gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Noch ist 123fahrschule ein Hoffnungswert ohne langjährigen Track Record. Entsprechende hoch spekulativ ist die Aktie, selbst wenn die Analysten der Quirin Privatbank in ihrer Studie von Februar 2021 den fairen Wert der Micro Caps bei knackigen 24,80 Euro ansetzen.
Nun: Die Zahlen für 2020 sehen – zumindest für Kapitalmarktverhältnisse mit (Pro forma) Erlösen von nur gut 4 Mio. Euro und knapp 2 Mio. Euro Verlust – noch sehr überschaubar aus. Dabei hat Polenske große Ambitionen und will den Marktanteil auf eine zweistellige Größe hieven. Das auf der HV zur Abstimmung stehende Aktienoptionsprogramm 2021 setzt als Erfolgsziele wahlweise einen Börsenwert von mehr als 100 Mio. Euro, einen addierten Vier-Jahres-Umsatz von 100 Mio. Euro oder einen Konzernüberschuss von einmalig mindestens 10 Mio. Euro an. Noch sind die Kölner Lichtjahre davon entfernt, doch wie sagt Polenske so schön: „Am Ende machen alle den Führerschein.“ Angst davor, das der Branche besonders in urbanen Gegenden die Kunden wegbleiben, hat der Unternehmer jedenfalls nicht. Und wer weiß: Vielleicht klopft Private Equity irgendwann ja auch bei 123fahrschule an.
Foto: 123fahrschule SE