Veröffentlichung des Bescheids der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 30. September 2021 über die Befreiung gemäß § 37 Abs. 1, 2 WpÜG von den Verpflichtungen gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 WpÜG in Bezug auf die INTERSHOP Communications, Jena (ISIN DE000A254211)
Mit Bescheid vom 30. September 2021 hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (folgend auch "BaFin") auf entsprechenden Antrag der Value Focus Beteiligungs GmbH (folgend "Antragstellerin zu 1"), Erbach, sowie Frau Julia Fischer, (folgend "Antragstellerin zu 2"), diese jeweils von der Verpflichtung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG befreit, die bevorstehende Kontrollerlangung zu veröffentlichen. Weiter wurden beide Antragsteller von den Verpflichtungen gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG befreit, der BaFin eine Angebotsunterlage für ein Pflichtangebot an die Aktionäre der INTERSHOP Communications AG, Jena, zu übermitteln und eine solche Angebotsunterlage zu veröffentlichen. Der Tenor und die wesentlichen Gründe des Befreiungsbescheids werden nachfolgend wiedergegeben.
Der Tenor des Bescheids lautet wie folgt:
1. Die Antragsteller werden für den Fall, dass sie aufgrund des Beitritts der Antragstellerin zu 1) zu der zwischen der Shareholder Value Management Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurt am Main und der Shareholder Value Beteiligungen AG mit Sitz in Frankfurt am Main am 06.05.2016 (in der geänderten Fassung vom 15.02.2019) geschlossenen Aktionärsvereinbarung ("Aktionärsvereinbarung") die Kontrolle im Sinne des § 29 Abs. 2 WpÜG über die INTERSHOP Communications AG mit Sitz in Jena erlangen, gemäß § 37 Abs. 1 Var. 5 WpÜG von der Verpflichtung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG, die Kontrollerlangung an der INTERSHOP Communications AG mit Sitz in Jena zu veröffentlichen sowie von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht eine Angebotsunterlage zu übermitteln und nach § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Satz 1 WpÜG ein Pflichtangebot zu veröffentlichen, befreit.
2. Die Befreiung gemäß vorstehender Ziffer 1 dieses Bescheids kann widerrufen werden (Widerrufsvorbehalt), wenn
(i) die Antragsteller selbst Einfluss auf die auf Grundlage der Aktionärsvereinbarung (in der ab dem Zeitpunkt des Beitritts geltenden Fassung) zu treffenden Entscheidungen nehmen können, insbesondere
(a) die Aktionärsvereinbarung (in der ab dem Zeitpunkt des Beitritts geltenden Fassung) im Hinblick auf ihren für Abstimmungen über und für das Stimmverhalten in der INTERSHOP Communications AG mit Sitz in Jena, wesentlichen Inhalt, insbesondere Ziffer 3 und 4 der Aktionärsvereinbarung (in der ab dem Zeitpunkt des Beitritts geltenden Fassung), nachträglich geändert wird (dies gilt auch für eine Vereinbarung, die die vorgenannte Aktionärsvereinbarung (In der ab dem Zeitpunkt des Beitritts geltenden Fassung) ersetzt oder ergänzt), und/oder
(b) die Antragsteller infolge einer Abstimmung (z.B. durch einen weiteren Poolvertrag oder in sonstiger Weise) mit der Shareholder Value Management Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurt am Main und/oder der Shareholder Value Beteiligungen AG mit Sitz in Frankfurt am Main über die Mehrheit der Stimmrechte nach Maßgabe von Ziffer 3 der Aktionärsvereinbarung (In der ab dem Zeitpunkt des Beitritts geltenden Fassung) verfügen,
c) die Antragsteller infolge einer Abstimmung (z.B. durch einen weiteren Poolvertrag oder in sonstiger Weise) mit Herrn Frank Fischer auf die auf Grundlage der Aktionärsvereinbarung (in der ab dem Zeitpunkt des Beitritts geltenden Fassung) zu treffenden Entscheidungen Einfluss nehmen können, und/oder
(ii) die Antragsteller ihren Stimmrechtsanteil an der INTERSHOP Communications AG mit Sitz in Jena anderweitig einschließlich etwaiger gemäß § 30 WpÜG zuzurechnender Stimmrechte (ohne Berücksichtigung der Stimmrechte, die ihr aufgrund der Aktionärsvereinbarung zuzurechnen sind) auf mindestens 30 % erhöhen.
Der Widerrufsvorbehalt unter Ziffer 2. (i) dieses Bescheids gilt nicht, wenn die der Aktionärsvereinbarung (in der ab dem Zeitpunkt des Beitritts geltenden Fassung) unterliegenden Stimmrechte weniger als 30 % der in der INTERSHOP Communications AG mit Sitz in Jena vorhandenen Stimmrechte ausmachen und die Antragsteller ihren Stimmrechtsanteil an der INTERSHOP Communications AG mit Sitz in Jena nicht anderweitig, einschließlich etwaiger gemäß § 30 WpÜG zuzurechnender Stimmrechte auf mindestens 30 % erhöhen.
3. Die Befreiung gemäß vorstehender Ziffer 1 dieses Bescheids ergeht unter der Auflage, dass die Antragsteller der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht jedes Ereignis, jeden Umstand und jedes Verhalten, das den Widerruf der Befreiung gemäß der vorstehenden Ziffer 2 dieses Bescheids rechtfertigen könnte, unverzüglich mitzuteilen haben.
4. Für die positive Entscheidung über den Befreiungsantrag ist von den Antragstellern eine Gebühr zu entrichten.
Gründe:
A.
I. Zielgesellschaft
Zielgesellschaft ist die INTERSHOP Communications AG mit Sitz in Jena, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Jena unter der Handelsregisternummer HRB 209419 (nachfolgend "Zielgesellschaft"). Das Grundkapital der Zielgesellschaft beträgt nach einer im Februar 2020 erfolgten Aktienzusammenlegung im Verhältnis 3:1 derzeit EUR 14.194.164,00 und ist eingeteilt in insgesamt 14.194.164 auf den Inhaber lautende Stückaktien mit einem rechnerischen Anteil am Grundkapital von EUR 1,00 je Aktie (nachfolgend die "INTERSHOP-Aktien'').
Die INTERSHOP-Aktien sind zum Handel am regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse (Prime Standard) unter der ISIN DE000A254211 zugelassen.
II. Antragsteller
Die Antragstellerin zu 1) ist eine deutsche Gesellschaft mit beschränkter Haftung, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Frankfurt am Main unter der Handelsregisternummer HRB 87119. Die Antragstellerin zu 1) hielt zum Zeitpunkt der Antragstellung weniger als 3% der INTERSHOP -Aktien.
Die Antragstellerin zu 2) und Herr Frank Fischer (nachfolgend "Herr Fischer") halten jeweils 50 % der Geschäftsanteile der Antragstellerin zu 1). Angabegemäß stimmen die Antragstellerin zu 2 ) und Herr Fischer ihr Verhalten in Bezug auf die Antragstellerin zu 1) untereinander ab. Die Antragstellerin zu 2) und Herr Fischer sind zudem jeweils zu einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführern der Antragstellerin zu 1) bestellt. Die Antragstellerin zu 2) hält keine INTERSHOP-Aktien zu Eigentum.
Herr Fischer ist Mitglied des derzeit zweiköpfigen Vorstands der Shareholder Value Management Aktiengesellschaft, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Frankfurt am Main unter der Handelsregisternummer HRB 49135 (nachfolgend "SVM AG'), und der Shareholder Value Beteiligungen AG, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Frankfurt am Main unter der Handelsregisternummer HRB 51069 (nachfolgend "SVB AG"); Herr Fischer ist jeweils einzelvertretungsberechtigt.
III. Aktionärsvereinbarung in Bezug auf die Zielgesellschaft
Zwischen der SVM AG und der SVB AG besteht seit dem 06.05 .2016 eine Aktionärsvereinbarung, die zuletzt am 15.02.2019 geändert wurde (nachfolgend die "Aktionärsvereinbarung").
Gemäß Ziffer 1 der Aktionärsvereinbarung arbeiten die SVM AG und die SVB AG hinsichtlich der Ausübung ihrer Eigentümerrechte bei der Zielgesellschaft zusammen.. Hierzu koordinieren sie insbesondere ihr Abstimmungsverhalten auf den Hauptversammlungen der Zielgesellschaft und üben ggf. ihre Rechte aus ihren Anteilen gemeinsam aus. Die Vereinbarung ist gemäß Ziffer 3 der Aktionärsvereinbarung auf unbestimmte Zeit geschlossen und kann von der SVM AG oder SVB AG mit einmonatiger Frist zum Monatsende gekündigt werden.
Unter Geltung der Aktionärsvereinbarung haben die SVM AG und die SVB AG im Jahr 2019 ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot an die Aktionäre der Zielgesellschaft durchgeführt. Ausweislich der am 21.03.2019 veröffentlichten Angebotsunterlage war zu diesem Zeitpunkt Herr Frank Fischer bereits Mitglied des zweiköpfigen Vorstands der SVM AG und der SVB AG. Zudem war die Antragstellerin zu 1) zum Veröffentlichungszeitpunkt mit rund 47,2 % an der SVM AG beteiligt; alleinige Gesellschafter der Value Focus Beteiligungs GmbH waren zu diesem Zeitpunkt die Antragstellerin zu 2) und Herr Fischer.
Insgesamt verfügen die SVB AG und SVM AG über mehr als 30% der Stimmrechte der INTERSHOP-Aktien (nachfolgend die "Poolgebundenen INTERSHOP-Aktien").
IV. Die Transaktion
1. Am 14.05.2021 haben die SVM AG, SVB AG, die Sachs Assets GmbH, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Darmstadt unter der Handelsregisternummer HRB 88113 (nachfolgend die "Beitretende zu 2)") und die Antragstellerin zu 1) einen zweiten Nachtrag zur Aktionärsvereinbarung abgeschlossen (nachfolgend "Nachtragsvereinbarung"). Gemäß Ziffer 1 der Nachtragsvereinbarung treten durch Abschluss der Nachtragsvereinbarung sowohl die Antragstellerin zu 1) als auch die Beitretende zu 2) der Aktionärsvereinbarung bei. Der Beitritt der Antragstellerin zu 1) und der Beitretenden zu 2) wurde jeweils aufschiebend bedingt vereinbart und wird mit der Erteilung einer Befreiung der Antragstellerin zu 1) und der Beitretenden zu 2) von den Verpflichtungen gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WpÜG gern. § 37 Abs. 1 WpÜG zugunsten der Antragstellerin zu 1) und/oder der Beitretenden zu 2) wirksam.
Sofern der Antragstellerin zu 1) und/ oder der Beitretenden zu 2) nicht bis spätestens 30.09.2021 ein Bescheid über die Befreiung von den Verpflichtungen gern. § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WpÜG zugehen sollten, soll die Nachtragsvereinbarung von Anfang an unwirksam sein.
Die Antragstellerin zu 1) hielt zum Zeitpunkt der Antragstellung weniger als 3% der Stimmrechte und des Grundkapitals der der INTERSHOP-Aktien. Die Beitretende zu 2) hielt zum Zeitpunkt der Antragstellung ebenfalls weniger als 3% der Stimmrechte und des Grundkapitals der INTERSHOP-Aktien.
2. Mit Wirksamwerden der Nachtragsvereinbarung werden sich gemäß Ziffer 3 der Nachtragsvereinbarung die SVM AG und die SVB AG über die Ausübung der Stimmrechte inhaltlich austauschen und abstimmen, wobei diejenige Person, die über weniger Stimmrechte verfügt, im Falle eines Dissenses ihre Stimmrechte entsprechend dem Vorschlag der Partei mit dem größeren Stimmrechtsanteil ausüben muss. Die Person mit dem größeren Stimmrechtsanteil ist derzeit die SVB AG.
Im Rahmen der Abstimmung werden die SVM AG und die SVB AG inhaltliche Beiträge der Antragstellerin zu 1) und der Beitretenden zu 2) berücksichtigen. Nach Ziffer 4 der Nachtragsvereinbarung sind die Antragstellerin zu 1) und die Beitretende zu 2) verpflichtet, ihre Aktionärsrechte, inklusive Stimmrechte, entsprechend dem Ergebnis der nach Maßgabe von Ziffer 3 erfolgten Abstimmung zwischen der SVB AG und SVM AG auszuüben, wobei die Verpflichtung unabhängig von der Anzahl der Stimmrechte der Antragstellerin zu 1) und der Beitretenden zu 2) gilt.
V. Antrag
Mit Schreiben, datierend auf den 14.05.2021 und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht am 06.07.2021 per Fax zugegangen, hat die Antragstellerin zu 1) sinngemäß beantragt, die Antragstellerin zu 1) gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WpÜG zu befreien, die aus dem Wirksamwerden des geplanten Beitritts der Antragstellerin zu 1) zur Aktionärsvereinbarung auf Grundlage der Nachtragsvereinbarung aufgrund der ihr gemäß § 30 Abs. 2 WpÜG zuzurechnenden Stimmrechte entstehen würden. Mit Schreiben vom 09.09.2021, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht am 10.09.2021 per Fax zugegangen, hat die Antragstellerin zu 2) unter Bezugnahme auf den Antrag der Antragstellerin zu 1) und deren Antragsbegründung ebenfalls einen Antrag auf Befreiung von den Verpflichtungen gern. § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WpÜG gestellt.
Die Antragsteller sind der Auffassung, dass die Befreiung nach § 37 Abs. 1 Var. 5 WpÜG (fehlende tatsächliche Möglichkeit der Kontrollausübung) gerecht fertigt sei, da die Antragstellerin zu 1) ihre Aktionärsrechte, inklusive Stimmrechte, gemäß Ziffer 4 der Nachtragsvereinbarung gemäß der Entscheidung der SVM AG und SVB AG, welche sich nach Maßgabe von Ziffer 3 der Nachtragsvereinbarung untereinander abstimmen, ausüben werde.
B.
Den Anträgen war stattzugeben, weil sie zulässig und begründet sind. Die Voraussetzungen für eine Befreiung von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs .2 Satz 1 WpÜG liegen vor.
I. Zulässigkeit des Antrags / Verbindung der Anträge zu einem Verfahren
Die Anträge sind zulässig.
Die Antragstellung der Antragstellerin zu 1) erfolgte am 06.07.2021 gemäß den Vorgaben des § 45 Satz 1 WpÜG durch Übermittlung des Schreibens, eingegangen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht per Fax am 06.07.2021. Die Antragstellung der Antragstellerin zu 2) erfolgte unter Bezugnahme auf den Antrag der Antragstellerin zu 1) und deren Antragsbegründung am 10.09.202 1 ebenfalls gemäß den Vorgaben des § 45 Satz 1 WpÜG durch Übermittlung des Schreibens per Fax.
Sie erfolgten auch fristgerecht. Gemäß § 8 Satz 2 WpÜG -AngebotsVO kann ein Antrag vor Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gestellt werden. Dies ist vorliegend der Fall, da die Antragsteller derzeit noch keine Kontrolle über die Zielgesellschaft haben. Die Kontrollerlangung erfolgt erst mit Wirksamwerden der Nachtragsvereinbarung (vgl. hierzu unten Abschnitt B. II.1.dieses Bescheids), die aufschiebend bedingt ist auf die Stattgabe des Antrags über die Befreiung der Antragstellerin zu 1) von den Verpflichtungen gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WpÜG.
Darüber hinaus besteht schon jetzt das erforderliche Sachbescheidungsinteresse. Über die Anträge konnte vor der Kontrollerlangung der Antragsteller entschieden werden. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Kontrollerlangung als vorhersehbar (vgl. BT-Drucks. 14/7034 v. 05.10.2001, S. 81) und aus Gründen der Sicherstellung der ernsthaften Bereitschaft zum Kontrollerwerb als sehr wahrscheinlich darstellt (vgl. Krause/Pötzsch/Seiler, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 8 WpÜG -Angebotsverordnung, Rdn. 8 f.; Versteegen, in: Kölner Komm. z. WpÜG, Anh. z. § 37 - § 8 WpÜG-AngVO Rz. 6). Dies ist vorliegend der Fall.
Die Antragstellerin zu 1) hat mit der SVM AG, SVB AG und der Beitretenden zu 2) die Nachtragsvereinbarung geschlossen, deren Wirksamkeit lediglich unter der aufschiebenden Bedingung steht, dass dem Antrag der Antragstellerin zu 1) auf Befreiung von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WpÜG stattgegeben wird. Die Kontrollerlangung (vgl. hierzu unten Abschnitt B. II. 1. dieses Bescheids) hängt somit allein von der Stattgabe des Antrags auf Befreiung von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WpÜG ab. Die Antragstellerin zu 1) hat damit sämtliche in ihrem Einflussbereich liegenden Erklärungen und Handlungen für den Beitritt zur Aktionärsvereinbarung und der daraus resultierenden Kontrollerlangung vorgenommen.
Der Antragstellerin zu 2) wird zeitglich mit dem Beitritt der Antragstellerin zu 1) zur Aktionärsvereinbarung die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangen, da ihr die Stimmrechte aus den unmittelbar von der Antragstellerin zu 1) gehaltenen INTERSHOP -Aktien gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 6 WpÜG i.V.m. den Grundsätzen über die Mehrmüttergesellschaft sowie die Stimmrechte aus den Poolgebunden INTERSHOP-Aktien aufgrund des zwischen ihr und der Antragstellerin zu 1) bestehenden Mutter-/Tochterverhältnisses i.S.d. § 2 Abs. 6 WpÜG gem. § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG zuzurechnen sind (vgl. hierzu unten Abschnitt B.II.1 dieses Bescheids).
Die Anträge der Antragsteller können in einem einheitlichen Verfahren beschieden werden. Es handelt sich im vorliegenden Fall um einen einheitlichen Lebenssachverhalt und somit um ein Verwaltungsverfahren. Bei einer Stimmrechtszurechnung aufgrund eines Mutter/Tochterverhältnisses i.S.d. § 2 Abs. 6 WpÜG ist grundsätzlich ein einheitlich zu würdigender Lebenssachverhalt anzunehmen. Die Kontrollerlangung durch die Antragstellerin zu 1) als unmittelbares Tochterunternehmen würde hier mit der Kontrollerlangung durch die Antragstellerin zu 2) als deren Mutter infolge der Stimmrechtszurechnung zeitlich zusammenfallen (vgl. hierzu unten Abschnitt B. II.1. dieses Bescheids). Das verbindende Element des gesamten Lebenssachverhalts bildet die Lenkungsmacht der Antragstellerin zu 2) als Prinzipal, vermittelt durch unmittelbare gesellschaftsrechtliche Einflussnahmemöglichkeiten auf die Antragstellerin zu 1).
II. Begründetheit
Die Anträge sind auch begründet. Jedenfalls liegen die Voraussetzungen für eine Befreiung der Antragsteller gemäß § 37 Abs. 1 Var. 5 WpÜG (fehlende tatsächliche Möglichkeit der Kontrollausübung) vor. Das Interesse der Antragsteller an einer Befreiung von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WpÜG überwiegt das Interesse der außenstehenden Aktionäre der Zielgesellschaft an einem öffentlichen Pflichtangebot.
1. Kontrollerlangung durch die Antragsteller
Die Antragsteller werden infolge des Wirksamwerdens der Nachtragsvereinbarung, d.h. mit dem damit verbundenen Beitritt der Antragstellerin zu 1) zur Aktionärsvereinbarung, die Kontrolle an der Zielgesellschaft gemäß §§ 29 Abs. 2, 35 WpÜG erlangen.
a) Antragstellerin zu 1)
Der Antragstellerin zu 1) wird mit Wirksamwerden der Nachtragsvereinbarung ein Stimmrechtsanteil im Umfang von mehr als 30 % der Stimmrechte der INTERSHOP-Aktien zustehen.
Zum einen hält die Antragstellerin zu 1) selbst unmittelbar weniger als 3% der INTERSHOP-Aktien.
Zum anderen sind der Antragstellerin zu 1) mit Wirksamwerden der Nachtragsvereinbarung über den Beitritt zur Aktionärsvereinbarung weitere, mehr als 30% der Stimmrechte aus den Poolgebundenen INTERSHOP-Aktien gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG zuzurechnen. Denn ab dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Nachtragsvereinbarung unterliegt die Antragstellerin zu 1) den entsprechenden Bindungen, insbesondere mit Blick auf die Vereinbarung über die Koordinierung der unter der Aktionärsvereinbarung gebündelten Stimmrechte aus von der SVM AG und der SVB AG sowie der Beitretenden zu 2) gehaltenen INTERSHOP-Aktien der Zielgesellschaft.
Mit Wirksamwerden der Nachtragsvereinbarung über den Beitritt der Beitretenden zu 2) zur Aktionärsvereinbarung werden der Antragstellerin zu 1) künftig weitere Stimmrechte aus den von der Beitretenden zu 2) gehaltenen INTERSHOP Aktien gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG zuzurechnen sein.
b) Antragstellerin zu 2)
Der Antragstellerin zu 2) wird mit Wirksamwerden der Nachtragsvereinbarung ebenfalls ein Stimmrechtsanteil im Umfang von mehr als 30% der Stimmrechte der INTERSHOP Aktien zustehen.
Dabei sind der Antragstellerin zu 2) die Stimmrechte aus den unmittelbar von der Antragstellerin zu 1) gehaltenen INTERSHOP Aktien gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 6 WpÜG i.V.m. § 17 AktG i.V.m. den Grundsätzen über die Mehrmütterherrschaft zuzurechnen. Voraussetzung für eine Mehrmütterherrschaft ist, dass die gemeinsame Beherrschung des Tochterunternehmens auf Dauer gesichert ist. Grundlage hierfür können nicht nur vertragliche oder organisatorische Bindungen, sondern auch rechtliche und tatsächliche Umstände sonstiger Art bilden (vgl. BGH, Urt. V. 04.03.1974 - Az. IIZR 89/72), mitunter personelle Verflechtungen in Form von Personenidentität oder paritätisch beteiligte Familienstämme (vgl. BAG, Beschl. v. 16.08.1995 - Az. 7 ABR 57/94). Dies ist vorliegend der Fall.
Die Antragstellerin zu 2) und Herr Fischer halten jeweils 50 % der Geschäftsanteile der Antragstellerin zu 1). Die Antragstellerin zu 2) und Herr Fischer stimmen angabegemäß ihr Verhalten in Bezug auf die Antragstellerin zu 1) untereinander ab. Hinzu kommt, dass die Antragstellerin zu 2) und Herr Fischer jeweils zu einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführern der Antragstellerin zu 1) bestellt sind. Insoweit kann die Angabe der Antragsteller nicht widerlegt werden, dass keine Beherrschung der Antragstellerin zu 1) durch die Antragstellerin zu 2) gemeinsam mit Herrn Fischer auf Grundlage der Grundsätze über die Mehrmütterherrschaft stattfindet. Eine mehrfache Abhängigkeit eines Tochterunternehmens aufgrund der Grundsätze der Mehrmütterherrschaft führt dazu, dass das Tochterunternehmen in konzernrechtlich relevanten Beziehungen zu jeder der ihm gegenüber als Einheit auftretenden Mütter steht (vgl. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, in Aktien- und GmbH-KonzernR, 9. Aufl. 2019, § 17 Rz. 32).
Die Stimmrechte aus den Poolgebundenen INTERSHOP-Aktien sind der Antragstellerin zu 2) aufgrund des zwischen ihr und der Antragstellerin zu 1) bestehenden Mutter-/Tochterverhältnisses i.S.d. § 2 Abs. 6 WpÜG gern. § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG zuzurechnen.
Schließlich sind der Antragstellerin zu 2) aufgrund des zwischen ihr und der Antragstellerin zu 1) bestehenden Mutter-/Tochterverhältnisses i.S.d. § 2 Abs. 6 WpÜG zudem die Stimmrechte aus den unmittelbar von der Beitretenden zu 2) gehaltenen INTERSHOP-Aktien die der Aktionärsvereinbarung bereits wirksam beigetreten ist, gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG zuzurechnen.
2. Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Var. 5 WpÜG
Die Voraussetzungen für eine Befreiung der Antragsteller gemäß § 37 Abs.1 Var. 5 WpÜG von den Pflichten des § 35 Abs. 1 Sat z 1 und Abs. 2 Satz 1 WpÜG liegen vor. Die fehlende tatsächliche Möglichkeit zur Ausübung der Kontrolle rechtfertigt es, (auch) unter Berücksichtigung der Interessen der anderen Inhaber von Aktien der Zielgesellschaft eine Befreiung von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 WpÜG auszusprechen.
Nach den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten des vorliegenden Falls ist es ausgeschlossen, dass die Antragstellerin zu 1) tatsächlich die Kontrolle über die Zielgesellschaft ausüben kann. Die Antragstellerin zu 1) kann im Rahmen der Aktionärsvereinbarung weder Einfluss auf die Zielgesellschaft noch im kontrollrelevanten Umfang auf die Ausübung von Stimmrechten aus INTERSHOP-Aktien nehmen. Die im Rahmen der Aktionärsvereinbarung zu treffenden Entscheidungen bestimmt nach den in der Nachtragsvereinbarung vorgesehenen vertraglichen Gestaltungen und unter Berücksichtigung der Anzahl der von der SVM AG und der SVB AG gehaltenen INTERSHOP-Aktien derzeit allein die SVB AG, nicht aber die Antragstellerin zu 1). Denn nach Ziffer 3 der Nachtragsvereinbarung werden sich die SVM AG und die SVB AG über die Ausübung der Stimmrechte inhaltlich austauschen und abstimmen, wobei diejenige Person, die über weniger Stimmrechte verfügt, im Falle eines Dissenses über die Stimmrechtsausübung ihre Stimmrechte entsprechend dem Vorschlag der Partei mit dem größeren Stimmrechtsanteil ausüben muss. Die Person mit dem größeren Stimmrechtsanteil ist derzeit die SVB AG.
Demgegenüber ist die Antragstellerin zu 1) nach Ziffer 4 der Nachtragsvereinbarung verpflichtet, ihre Aktionärsrechte, inklusive Stimmrechte, entsprechend dem Ergebnis der nach Maßgabe von Ziffer 3 erfolgten Abstimmung zwischen der SVB AG und SVM AG auszuüben, wobei die Verpflichtung unabhängig von der Anzahl der Stimmrechte der Antragstellerin zu 1) gilt.
Entsprechend kommt auch der Antragstellerin zu 2), vermittelt über ihre Beteiligung an der Antragstellerin zu 1), keine Möglichkeit zu, Einfluss auf die Zielgesellschaft oder im kontrollrelevanten Umfang auf die Ausübung von Stimmrechten aus INTERSHOP-Aktien zu nehmen.
3. Ermessen
Befreiungen nach § 37 WpÜG stehen im Ermessen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. In der Ermessensabwägung sind die Interessen der Antragsteller an der Befreiung dem Interesse der übrigen Aktionäre der Zielgesellschaft an der Durchführung eines Pflichtangebots gegenüberzustellen (vgl. Schmiady, in: Steinmeyer, WpÜG, § 37 Rz. 56)
Unschädlich ist im vorliegenden Fall, dass die Antragstelleriin ihrem Antrag nicht dargelegt haben, weshalb ihr Interesse an einer Befreiung von den Pflichten gern. § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WpÜG den Interessen der anderen Aktionäre der Zielgesellschaft an einem Pflichtangebot überwiegt. Eine solche Darlegung bietet sich im Interesse der Antragsteller an einer Befreiung an, rechtlich erforderlich ist sie hingegen nicht (vgl. Seiler, in Assmann/Pötzsch/Schnei der, WpÜG, § 8 WpÜG-AngVO Rz. 7).
Bei Abwägung der Interessen der anderen Aktionäre der Zielgesellschaft an einem Pflichtangebot mit dem Interesse der Antragsteller an einer Befreiung von den Verpflichtungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WpÜG überwiegen die Interessen der Antragsteller deutlich.
Der formale Kontrollerwerb der Antragsteller bietet den außenstehenden Aktionären keinen Anlass, eine außerordentliche Desinvestitionsentscheidung zu treffen. Vielmehr bleibt die materielle Kontrollsituation letztlich unverändert, da sich die Antragstellerin zu 1) bei Entscheidungen im Rahmen der Aktionärsvereinbarung nie durchsetzen kann, entsprechendes gilt für die Antragstellerin zu 2).
Somit müssen die außenstehenden Aktionäre auch keine transaktionsbedingte Änderung in der Unternehmensführung der Zielgesellschaft erwarten, so dass ihr etwaiges Interesse an einem Pflichtangebot als gering zu bewerten ist und jedenfalls hinter dem Interesse der Antragsteller, nicht mit den Kosten eines Pflichtangebots belastet zu werden, zurückstehen muss.