Veröffentlichung über die Erteilung einer Befreiung nach § 37 WpÜG von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots an die Aktionäre der Nemetschek SE, München
Auf entsprechenden Antrag der Nemetschek-Stiftung, Konrad-Zuse-Platz 1, 81829 München, ("Antragstellerin") hat die Bundesanstalt für Finanzleistungsaufsicht ("BaFin") mit Bescheid vom 9.7.2021 der Antragstellerin gemäß § 37 Abs. 1 Var. 5 WpÜG von der Verpflichtung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG, die Kontrollerlangung an der Nemetschek SE, München, zu veröffentlichen, sowie von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG, der BaFin eine Angebotsunterlage zu übermitteln, und nach § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Satz 1 WpÜG ein Pflichtangebot zu veröffentlichen, befreit.
Der Tenor des Bescheids lautet wie folgt:
1. Die Antragstellerin wird für den Fall, dass sie durch den Abschluss der Stimmrechtspoolvereinbarung mit der Nemetschek Vermögensverwaltungs GmbH & Co. KG, Grünwald, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts München unter HRA 101113, gemäß Abschnitt A § 7 der Urkunde Nummer 345/2021 des Notars Dr. Thomas Wachter vom 18.02.2021 im Zusammenhang mit der in Abschnitt A §§ 3-5 der vorgenannten Urkunde vorgesehenen Zuwendung von insgesamt 4.637.109 Aktien der Nemetschek SE, München, die Kontrolle im Sinne des § 29 Abs. 2 WpÜG über die Nemetschek SE, München, erlangt, gemäß § 37 Abs. 1 Var. 5 WpÜG von der Verpflichtung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG, die Kontrollerlangung an der Nemetschek SE, München, zu veröffentlichen sowie von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht eine Angebotsunterlage zu übermitteln und nach § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Satz 1 WpÜG ein Pflichtangebot zu veröffentlichen, befreit.
2. Die Befreiung gemäß vorstehender Ziffer 1 kann widerrufen werden (Widerrufsvorbehalt), wenn
(i) die Antragstellerin selbst Einfluss auf die Entscheidung über die Ausübung der der vorgenannten Poolvereinbarung unterliegenden Stimmrechte in der Nemetschek SE, München nehmen kann, oder
(ii) die Antragstellerin dadurch die Möglichkeit zur Ausübung der tatsächlichen Kontrolle über die Nemetschek SE, München, erlangt, dass sie ihren Stimmrechtsanteil an der Nemetschek SE, München, anderweitig, einschließlich etwaiger gemäß § 30 WpÜG zuzurechnender Stimmrechte und abzüglich der Stimmrechte, die der vorgenannten Poolvereinbarung unterfallen, auf mindestens 30% erhöht.
Der Widerrufsvorbehalt gemäß vorstehender Ziffer 2. (i) gilt jedoch nicht, wenn die der vorgenannten Poolvereinbarung unterliegenden Stimmrechte weniger als 30% der in der Nemetschek SE, München, vorhandenen Stimmrechte ausmachen und die Antragstellerin ihren Stimmrechtsanteil an der Nemetschek SE, München, nicht anderweitig, einschließlich etwaiger gemäß § 30 WpÜG zuzurechnender Stimmrechte auf mindestens 30% erhöht.
3. Die Befreiung gemäß vorstehender Ziffer 1 ergeht unter folgenden Auflagen:
(i) Die Antragstellerin hat den Umstand, dass die Stimmrechtspoolvereinbarung, die sie mit der Nemetschek Vermögensverwaltungs GmbH & Co. KG, Grünwald, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts München unter HRA 101113, gemäß Abschnitt A § 7 der Urkunde Nummer 345/2021 des Notars Dr. Thomas Wachter vom 18.02.2021 im Zusammenhang mit der in Abschnitt A §§ 3- 5 der vorgenannten Urkunde vorgesehenen Zuwendung von insgesamt 4.637.109 Aktien der Nemetschek SE, München, abgeschlossen hat, wirksam geworden ist unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von vier Wochen nach Eintritt des vorgenannten Umstandes, durch Vorlage geeigneter Unterlagen gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht nachzuweisen.
(ii) Die Antragstellerin hat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht jedes Ereignis, jeden Umstand und jedes Verhalten, das den Widerruf der Befreiung gemäß der vorstehenden Ziffer 2 rechtfertigen könnte, unverzüglich mitzuteilen.
4. Für die positive Entscheidung über den Befreiungsantrag ist von der Antragstellerin eine Gebühr zu entrichten.
Die Befreiung beruht im Wesentlichen auf folgenden Gründen:
I.
Die Nemetschek SE, München, ist im Handelsregister des Amtsgerichts München unter HRB 224638 eingetragen (folgend "Zielgesellschaft"). Das Grundkapital der Zielgesellschaft beträgt EUR 115.500.000,00 und ist in 115.500.000 Stückaktien eingeteilt (folgend "NSE-Aktien").
Gegenstand des Antrags ist der beabsichtigte Abschluss mehrerer Poolvereinbarungen im Rahmen der nachfolgenden dargestellten Umstrukturierung der Zielgesellschaft mit dem Ziel einer Entflechtung des Aktienbesitzes auf Ebene der Familienaktionäre.
1. Gegenwärtig hält die Nemetschek Vermögensverwaltungs GmbH & Co KG, Grünwald, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts München unter HRA 101113 (folgend "Nemetschek KG") unmittelbar 55.868.784 NSE-Aktien (entspricht rund 48,37% der bei der Zielgesellschaft insgesamt vorhandenen Stimmrechte). Einzige Komplementärin der Nemetschek KG ist die Nemetschek Verwaltungs GmbH, Grünwald, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts München unter HRB 205971 (folgend "Nemetschek GmbH").
Kommanditisten der Nemetschek KG sind Alexander Nemetschek (folgend "AN") und Dr. Ralf Nemetschek (folgend "RN") mit einer Beteiligung in Höhe von jeweils 49,998% der Kommanditanteile und Professor Dipl.-lng. Georg Heinz Nemetschek (folgend "GN") mit einer Beteiligung in Höhe von 0,004% der Kommanditanteile. Die einzigen Gesellschafter der Nemetschek GmbH sind wiederum GN, AN und RN.
Zwischen der Nemetschek KG und GN besteht eine Stimmbindungsvereinbarung (folgend "Poolvereinbarung I"). GN hält derzeit unmittelbar 3.700.000 NSE-Aktien (entspricht rund 3,2% der Stimmrechte in der Zielgesellschaft). Der Poolvereinbarung I unterliegen daher insgesamt 59.568.784 NSE-Aktien (entspricht rund 51,57% der Stimmrechte in der Zielgesellschaft).
Die Antragstellerin ist eine im Jahr 2007 errichtete gemeinnützige Stiftung.
2. Zur Regelung der Unternehmensnachfolge sollen die in der Nemetschek KG gebündelten Beteiligungen entflochten und wie unten dargestellt verteilt werden. Die Parteien haben eine Rahmenurkunde abgeschlossen, in dem die Vollzugszeitpunkte (in römischen Ziffern gestaffelt) näher definiert sind. In diesem Zusammenhang soll die mittelbare Kontrolle von GN über die Zielgesellschaft auf die Nemetschek Familienstiftung, Hirtenweg 74, 82037 Grünwald, (folgend "Nemetschek Familienstiftung") übertragen werden.
2.1 GN, AN und RN entnehmen im Verhältnis ihrer festen Kapitalanteile insgesamt 4.637.109 NSE-Aktien aus der Nemetschek KG. Diese werden auf Geheiß von GN, AN und RN direkt auf die Antragstellerin übertragen und entsprechend aus der Poolvereinbarung I entlassen.
2.2 Aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt, in dem die Antragstellerin aufgrund der vorgenannten Übertragungen von NSE-Aktien erstmals die Stellung als Aktionärin der Zielgesellschaft erlangt, haben die Antragstellerin und die Nemetschek KG zum Zwecke der Wahrung einer einheitlichen Stimmrechtsausübung eine weitere Poolvereinbarung abgeschlossen (folgend "Poolvereinbarung II").
II.
Dem Antrag war stattzugeben, da er zulässig und begründet ist.
1. ZULÄSSIGKEIT
Der Antrag ist zulässig.
Er wurde insbesondere fristgemäß (§ 8 Satz 2 WpÜG-Angebotsverordnung) vor der erst nach Wirksamkeit dieses Bescheides zu erwartenden Kontrollerlangung (vgl. hierzu Ziffer 2.1) gestellt.
Über den Antrag konnte auch vor dem Kontrollerwerb der Antragstellerin entschieden werden. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Kontrollerlangung als vorhersehbar (BT-Drs. 14/7034 v. 05.10.2001, S. 81) und aus Gründen der Sicherstellung der ernsthaften Bereitschaft zum Kontrollerwerb als sehr wahrscheinlich (vgl. Krause/Pötzsch/Seiler, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, 3. Aufl. 2020, § 8 WpÜG-Angebotsverordnung, Rn. 8 f.) darstellt. Dies ist vorliegend gegeben. Die zum Kontrollerwerb führenden Handlungen hängen lediglich vom Willen der Parteien der Rahmenurkunde ab. Mit einer Durchführung der Rahmenurkunde ist nach Eintritt der Vollzugsvoraussetzungen auf Grund des bereits getätigten erheblichen Aufwands zügig zu rechnen.
2. BEGRÜNDETHEIT DES ANTRAGS
2.1 Kontrollerwerb der Antragstellerin
Kontrolle ist gemäß § 29 Abs. 2 WpÜG das Halten von mindestens 30% der Stimmrechte an einer Zielgesellschaft.
Gegenwärtig hält die Antragstellerin unmittelbar keine NSE-Aktien. Ebenso wenig sind ihr Stimmrechte aus NSE-Aktien gemäß § 30 WpÜG zuzurechnen.
Mit Erwerb der 4.637.109 NSE-Aktien (entsprechen rund 4,01% der Stimmrechte in der Zielgesellschaft) durch die Antragstellerin und Inkrafttreten der Poolvereinbarung II verfügt die Antragstellerin über insgesamt 55.868.784 Stimmrechte aus NSE-Aktien (entsprechen rund 48,37% der Stimmrechte in der Zielgesellschaft) und zwar Stimmrechte aus 4.637.109 NSE-Aktien (entsprechen rund 4,01% der Stimmrechte in der Zielgesellschaft), die die Antragstellerin im Zuge der Umstrukturierung von GN, RN und AN erwerben und danach unmittelbar halten wird sowie Stimmrechte aus 51.231.675 NSE-Aktien (entsprechen rund 44,36% der Stimmrechte in der Zielgesellschaft), welche der Antragstellerin nach Inkrafttreten der Poolvereinbarung II von der Nemetschek KG gemäߧ 30 Abs. 2 WpÜG zuzurechnen sind.
Ein abgestimmtes Verhalten setzt nach § 30 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. WpÜG voraus, dass sich der Bieter und der Dritte über die Ausübung von Stimmrechten verständigen. So liegt der Fall hier. Die nach der Rahmenurkunde abgeschlossene Poolvereinbarung II sieht vor, dass sich die Parteien über die Ausübung der Stimmrechte aus den von ihnen jeweils gehaltenen NSE-Aktien abstimmen. Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang für die Zurechnung von Stimmrechten nach § 30 Abs. 2 WpÜG, dass sich die Antragstellerin in der Poolvereinbarung II verpflichtet hat, stets nach den Weisungen der Nemetschek KG abzustimmen. Nach der Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (folgend "BaFin") ist es für die Erfüllung des Zurechnungstatbestandes nach § 30 Abs. 2 WpÜG unerheblich, ob die sich abstimmende Partei Einfluss auf die Ausübung der der Poolvereinbarung unterliegenden Stimmrechte hat oder nicht (vgl. zu § 34 Abs. 2 WpHG: Emittentenleitfaden der BaFin, Modul 8, Stand 30. Oktober 2018 S. 28). Der mitgeteilte Sachverhalt bietet auch keine Anhaltspunkte für ein Vorliegen der Einzelfallausnahme in Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 1 WpÜG. Die Poolvereinbarung II ist für einen längeren Zeitraum und ohne jegliche inhaltliche Einschränkung abgeschlossen.
Die Wirksamkeit der einzelnen Übertragungen von NSE-Aktien auf die Antragstellerin ist jeweils auf den gleichen Zeitpunkt, nämlich den in der Rahmenurkunde definierten Vollzugszeitpunkt II aufschiebend bedingt. Die Wirksamkeit der Poolvereinbarung II wiederum ist auf die Wirksamkeit der vorgenannten Übertragungen bedingt. Folglich wird die Antragstellerin nach dem Willen der Parteien der Rahmenurkunde zeitgleich (i) Inhaberin von 4.637.109 NSE-Aktien (entsprechen rund 4,01% der Stimmrechte in der Zielgesellschaft) und (ii) durch die Poolvereinbarung II wirksam gebunden. Mit dem in der Rahmenurkunde definierten Vollzugszeitpunkt II verfügt die Antragstellerin daher insgesamt über Stimmrechte aus 55.868.784 NSE-Aktien (entsprechen rund 48,37% der Stimmrechte in der Zielgesellschaft) und überschreitet damit die Kontrollschwelle des § 29 Abs. 2 WpÜG.
2.2 Befreiungsgrund
Die Voraussetzungen für eine Befreiung der Antragstellerin gemäß § 37 Abs. 1 Var. 5 WpÜG von den Pflichten des § 35 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WpÜG liegen vor. Die fehlende tatsächliche Möglichkeit zur Ausübung der Kontrolle rechtfertigt es, (auch) unter Berücksichtigung der Interessen der anderen Inhaber von Aktien der Zielgesellschaft eine Befreiung von den Verpflichtungen nach § 35 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 WpÜG auszusprechen.
Nach den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten des vorliegenden Falls ist es ausgeschlossen, dass die Antragstellerin tatsächlich die Kontrolle über die Zielgesellschaft ausüben kann. Die Antragstellerin hat sich im Rahmen der Poolvereinbarung II verpflichtet, das Stimmrecht aus allen von ihr unmittelbar gehaltenen NSE-Aktien stets nach den Weisungen der Nemetschek KG auszuüben. Die Antragstellerin ist daher an der Ausübung der Kontrolle über die Zielgesellschaft nicht beteiligt.
2.3 Ermessen
Die Erteilung der beantragten Befreiung nach § 37 Abs. 1 Var. 5 WpÜG liegt im Ermessen der BaFin. In die Abwägung sind die Interessen der Antragstellerin und diejenigen der anderen Inhaber der Aktien der Zielgesellschaft einzustellen. Im Ergebnis überwiegen hier die Interessen der Antragstellerin, kein Pflichtangebot nach § 35 WpÜG an die Aktionäre der Zielgesellschaft unterbreiten zu müssen, die Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft an einem Angebot.
Der formale Kontrollerwerb der Antragstellerin mit Wirksamkeit der Poolvereinbarung II bietet den außenstehenden Aktionären keinen (schützenswerten) Anlass, eine außerordentliche Desinvestitionsentscheidung zu treffen. Vielmehr bleibt die materielle Kontrollsituation letztlich unverändert, da sich die Antragstellerin den Weisungen der bisher und auch zukünftig die unmittelbare Kontrollposition in der Zielgesellschaft innehabenden Nemetschek KG unterwirft, welche die Antragstellerin weder herbeiführen noch beeinflussen kann. Somit müssen die außenstehenden Aktionäre infolge der Umstrukturierung auch keine transaktionsbedingte Änderung in der Unternehmensführung der Zielgesellschaft erwarten, so dass ihr etwaiges Interesse an einem Pflichtangebot als gering zu bewerten ist und jedenfalls hinter dem Interesse der Antragstellerin, nicht mit den Kosten eines Pflichtangebots belastet zu werden, zurückstehen muss.