HFG
HELLOFRESH INH
Anteil der Short-Position: 9,10%
PBB
DT.PFANDBRIEFBK
Anteil der Short-Position: 7,69%
SDF
K+S
Anteil der Short-Position: 6,82%
NA9
NAGARRO
Anteil der Short-Position: 6,05%
NDA
Aurubis
Anteil der Short-Position: 4,94%
NDX1
Nordex
Anteil der Short-Position: 4,82%
VAR1
Varta
Anteil der Short-Position: 4,77%
DHER
DELIVERY HERO
Anteil der Short-Position: 3,92%
PSM
PROSIEBENSAT.1
Anteil der Short-Position: 3,88%
S92
SMA Solar Techn.
Anteil der Short-Position: 3,46%
LXS
Lanxess
Anteil der Short-Position: 3,32%
EVT
Evotec OAI
Anteil der Short-Position: 3,13%
WAF
SILTRONIC
Anteil der Short-Position: 2,16%
TUI
TUI
Anteil der Short-Position: 1,82%
WCH
Wacker Chemie
Anteil der Short-Position: 1,49%
PNE3
PNE Wind
Anteil der Short-Position: 1,41%
GXI
Gerresheimer
Anteil der Short-Position: 1,18%
RHM
Rheinmetall
Anteil der Short-Position: 0,97%
NB2
NORTHERN DATA INH
Anteil der Short-Position: 0,64%
LHA
Lufthansa
Anteil der Short-Position: 0,59%
AFX
Carl Zeiss Meditec
Anteil der Short-Position: 0,52%
COP
COMPUGROUP MED.
Anteil der Short-Position: 0,50%
TKA
ThyssenKrupp
Anteil der Short-Position: 0,49%

Virtuelle Hauptversammlung: Bisher viel Pflicht, wenig Kür

Online-Übertragungen von Hauptversammlungen gibt es schon eine ganze Weile. Nichts Besonderes also. Aber komplett virtuell durchgeführte Aktionärstreffen, wie sie im Zuge der Corona-Pandemie zurzeit in großer Zahl angesetzt werden, sind für alle Beteiligten Neuland. Auf Basis der rund 600 Gesellschaften umfassenden Datenbank von boersengefluester.de haben bislang 220 Unternehmen zu einer virtuellen Hauptversammlung (HV) eingeladen – die Zahl wird in den kommenden Wochen noch signifikant steigen, wie die momentan veröffentlichten HV-Einladungen belegen. So sind von den gegenwärtig 307 von April bis Ende Juni angesetzten HVs bislang 195 als virtuelle Veranstaltung geplant, was einer Quote von knapp 64 Prozent entspricht. Vermutlich werden es am Ende mehr als 80 Prozent sein. Das Thema hat also enorme Kapitalmarktrelevanz. Ein Team der Kommunikationsagentur Brunswick hat daher zu den ersten durchgeführten virtuellen Hauptversammlungen ein umfangreiches und kritisches Zwischenfazit gezogen, was wir hier in voller Länge veröffentlichen. So lesenswert findet boersengefluester.de die Erkenntnisse von Brunswick.


 

• Im Zuge des Ende März verabschiedeten COVID-19-Gesetzespakets sind rein virtuelle Hauptversammlungen in Deutschland erstmals möglich; den Auftakt machte Bayer am 28. April 2020.

• Für eine erste Einschätzung der HV-Saison 2020 hat Brunswick zahlreiche virtuelle Hauptversammlungen namhafter DAX- und MDAX-Unternehmen analysiert.

• Es gab deutliche Unterschiede hinsichtlich Transparenz, zeitlichem Rahmen und Umgang mit Aktionärsrechten und Kritikern.

• Die Präsentationen der Vorstandsvorsitzenden entsprachen bisher eher der üblichen Pflichtübung; zusätzliche und digitale Kreativmittel oder Kommunikationsformate als „Kür“ wurden kaum eingesetzt.

Verbesserungspotenziale umfassen somit unter anderem die inhaltliche Ausgestaltung der Präsentationen (einschließlich einer Untertitelung und Optimierung des zeitlichen Rahmens), der Einsatz digitaler Kommunikationsformate sowie die Transparenz und Live-Interaktion während der Generaldebatte.

• Ob die HV-Saison 2020 ein historisch einmaliges Ereignis bleibt, hängt wesentlich vom Umgang der Unternehmen mit den Aktionärsrechten und der Reaktion seitens der Aktionäre ab.


 

Hintergrund

Seit mindestens 2002 diskutieren Experten in Deutschland über das Thema Online-Hauptversammlungen (HV). Wenn es überhaupt positive Seiten gibt, die man der aktuellen COVID-19-Krise abgewinnen darf, dann doch wohl diese: Zum einen erfährt die Digitalisierung in Deutschland einen großen Schub, zum anderen wurden lange diskutierte Initiativen auf einmal zügig durch den Gesetzgeber verabschiedet.

Dazu gehört die Möglichkeit, die jährlich verpflichtende Aktionärsversammlung mindestens für dieses Jahr rein virtuell durchführen und Präsenzveranstaltungen dadurch vollständig ersetzen zu können. Alternativ können in diesem Jahr die Aktionärstreffen einer Aktiengesellschaft aber auch mit einer verlängerten Frist bis zum 31. Dezember 2020 abgehalten werden.

 

Erste Erfahrungen

Aktiengesellschaften sind und bleiben auch in diesen Zeiten Gastgeber, die ihren Anteilseignern mit der Hauptversammlung die Möglichkeit bieten, ihre Rechte wahrzunehmen. Wir betonen dies an dieser Stelle ausdrücklich, weil es für ein konstruktives Miteinander nicht nur auf die Wahrung der rechtlichen Mindeststandards ankommt. Selbst ohne die berühmte Erbsensuppe, Frankfurter Würstchen oder Kaffee und Kuchen kann der Versammlungsleiter ein guter Gastgeber sein, der sicherstellt, dass seine Gäste sich wohl fühlen und mit ihren Rechten als Eigentümer des Unternehmens vollumfänglich respektiert sehen.

Die Hauptversammlungssaison 2020 wurde am 28. April durch Bayer mit einer virtuellen HV eröffnet. Seitdem fanden fast täglich virtuelle Hauptversammlungen namhafter DAX-Unternehmen statt – mal mehr und mal weniger fesselnd. Im Folgenden skizzieren wir die ersten und aus unserer Sicht wichtigsten Erfahrungen mit diesem neuen Format.

 

Deutsche Lufthansa: Virtuelle Hauptversammlung am 5. Mai 2020

 

Die Rahmenbedingungen der ersten virtuellen HVs

Grundsätzlich unterschieden sich die Versammlungen durch den möglichen Teilnehmerkreis: Während Bayer die gesamte HV der Öffentlichkeit zugänglich machte und damit maximale Transparenz unter Beweis stellte, entschieden sich viele andere Unternehmen (wie die Allianz, Commerzbank, Munich Re, Fuchs Petrolub und Lufthansa), lediglich die Eröffnung einschließlich der Reden des Aufsichtsrats- und des Vorstandsvorsitzenden im Internet öffentlich und live zu übertragen. Den Rest der HV konnten dann jeweils nur Aktionäre und andere ausgewählte Gäste online mit verfolgen. Noch restriktiver waren Unternehmen wie Beiersdorf, die lediglich im Nachgang zur Hauptversammlung die Eröffnungsreden der Vorstände als Replay veröffentlichten.

Positiv überrascht waren wir von der Teilnehmerzahl bei den entsprechenden Livestreams, welche in der Spitze bei Bayer bei über 5.000 (bzw. bei gut 60 Prozent des Grundkapitals) lag und einer Präsenzveranstaltung damit in nichts nachstand (Munich Re: 43 Prozent, Allianz 44 Prozent). Lediglich bei Lufthansa gab es einen nennenswerten Rückgang der Präsenz (von 46 Prozent im Jahr 2019 auf 33 Prozent im Jahr 2020).

Der technische Zugang über die Webseiten der Unternehmen und die separaten Aktionärszugänge stellten nach unserer Beobachtung keine Herausforderung dar und selbst eine kurzzeitig etwas rumpelige Übertragung konnte dank eines zeitlich minimal versetzten Back-up Files wie bei Bayer seitens der Teilnehmer sofort behoben werden. Als hilfreich und in der Liga von DAX und MDAX wohl auch unabdingbar erwies sich die Möglichkeit, einer Simultanübersetzung in englischer Sprache zu folgen.

Sichtbare Teilnehmer auf Seiten der Unternehmen waren in der Regel lediglich ein Kernteam: CEO und Teile des Vorstands, der Aufsichtsratsvorsitzende, manchmal dessen Stellvertreter oder designierter Nachfolger sowie ein Notar. Im Fall der Munich Re stießen nach den Reden der Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzenden weitere Vorstandsmitglieder in der Generaldebatte zur Beantwortung von Fragen live dazu. Die übrigen Vorstände und Aufsichtsräte wohnten der HV per Internet bei und waren für Aktionäre nicht sichtbar.

Im Vorfeld hatten wir erwartet, dass das Online-Format auch einen (positiven) Einfluss auf die zeitliche Dauer der Veranstaltung haben könnte, da nicht nur die Redebeiträge der Aktionäre entfallen, sondern vorab zugestellte Fragen im Rahmen der neuen rechtlichen Möglichkeiten um Redundanzen bereinigt und en bloc (Beispiel Lufthansa, Munich Re, Allianz) beantwortet werden können. Nicht alle Unternehmen machten jedoch von dieser Möglichkeit Gebrauch.

 

Die Frage nach der ausreichenden Wahrung der Aktionärsinteressen stellt sich durchaus.

 

BMW: Virtuelle HV am 15. Mai 2020

Auch die Reden des Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzenden hätten in einigen Fällen, dem neuen Format geschuldet, ein wenig straffer ausfallen können. So hielt der AR-Vorsitzende der Munich Re seine Rede in erfrischenden 15 Minuten und auch der CEO brachte die wesentlichen Inhalte in 13 Minuten auf den Punkt. Damit blieb ausreichend Zeit (gut dreieinhalb Stunden) für eine gewissenhafte Beantwortung der 159 inhaltlich zusammengefassten Fragen. Der Vorstandsvorsitzendevon Beiersdorf und seine Kollegin aus dem Finanzressort benötigten 54 Minuten für ihre Reden. Bei der Lufthansa wurden die Reden dagegen in knackigen 10 bzw. 30 Minuten erledigt, bei der Commerzbank waren es je 22 Minuten. Im Ergebnis dauerten die HVs zwischen zwei (Hochtief) und, in diesem Fall wohl kaum vermeidbaren, sieben Stunden (Bayer). Die HVs der Allianz, Munich Re, der Lufthansa (trotz 246 Fragen, deren Beantwortung allein zweieinhalb Stunden in Anspruch nahm) und Hannover Rück bewegten sich mit einer Dauer von ungefähr vier Stunden im Mittelfeld. Insgesamt ist die Varianz der Zeitspanne sicherlich durch eine bessere Effizienz, aber auch durch einen bewusst entspannteren Umgang der Unternehmen mit den berechtigten Interessen der Aktionäre zu erklären. Die Frage nach der ausreichenden Wahrung der Aktionärsinteressen stellt sich durchaus.

Beachtung finden sollten nicht zuletzt die deutlich geringeren Kosten einer virtuellen HV: Bayer bestätigte auf Nachfrage eines Aktionärs, dass die Kosten für eine (wie wir meinen ordentliche) Online-HV mit rund 1 Million Euro deutlich unter dem Aufwand einer Präsenzveranstaltung (rund 3,5 Millionen Euro) lagen. Bei der Munich Re reduzierten sich die Kosten auf 1,1 Millionen Euro (nach 2,4 Millionen Euro für die Präsenzveranstaltung im Vorjahr). Auch die Lufthansa berichtete von deutlichen Einsparungen (rund 800.000 Euro), welche ohne Stornierungskosten für die Jahrhunderthalle in Frankfurt noch höher ausgefallen wären.

 

Bayer: Techniker sorgen für eine störungsfreie Übertragung der Online-HV am 28. April 2020

 

Das Aktionärsrecht und dessen Umsetzung

Es ist ein Spagat, wenn man die Rechte der Aktionäre einerseits weitestgehend wahren möchte, andererseits aber eben diese Rechte durch das Online-Format bedingt beschneiden muss. Eine virtuelle HV birgt damit – nicht überraschend – einige Herausforderungen eher nicht-technischer Natur.

Gelöst wurde dieser augenscheinliche Zielkonflikt nach unserer Beobachtung auf verschiedenen Wegen und aus Sicht der Aktionäre damit auch unterschiedlich gut:

Aktionäre hatten in den von uns beobachteten HVs lediglich die Möglichkeit, Fragen bis spätestens zwei Tage vor derVeranstaltung einzureichen (Beispiele: Allianz, Bayer, Munich Re, Lufthansa). Damit gingen die meisten Unternehmen bisher nicht über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus. Kein einziges von uns beobachtetes Unternehmen wagte sich bisher an eine Live-Fragerunde heran, obwohl dies technisch durchaus möglich wäre. Die Fragen der Aktionärsvertreter und der institutionellen Investoren wurden in der Regel unter Nennung des Namens verlesen, Privataktionäre blieben unter Berücksichtigung des Datenschutzes ungenannt (Ausnahme: Lufthansa); bei Bayer wurden die Aktionäre vorab gefragt, ob sie namentlich genannt werden wollen.

 

Gelöst wurde dieser augenscheinliche Zielkonflikt auf verschiedenen Wegen und aus Sicht der Aktionäre damit auch unterschiedlich gut

 

Die Abstimmung zu den Punkten der Tagesordnung erfolgte bei den meisten bisherigen HVs auch bereits im Vorfeld der HV und damit auf Basis der mit der Einladung zur Verfügung gestellten Unterlagen. Löbliche Ausnahmen bildeten die Allianz, Bayer und Hannover Rück, bei deren HV im Aktionärsportal noch bis kurz nach der Beantwortung der Aktionärsfragen online abgestimmt werden konnte. Die Herausforderung ist hierbei die notwendige Überbrückung der Wartezeit beim „Einsammeln“ und Auszählen der Stimmen, wobei die Allianz und Hannover Rück hierfür sehr effizient lediglich rund zehn Minuten benötigten. Diese Vorgehensweise kann nach unseren Erfahrungen jedoch zeitintensiver sein – je nachdem, welcher HV-IT-Dienstleister diesen Prozess im Hintergrund betreut. Die hierfür notwendige Pause am Ende der Generaldebatte kann sicherlich eine Gelegenheit sein, das Unternehmen oder bestimmte Themen und Initiativen noch einmal informativ, kurzweilig und ansprechend per Video oder Animation zu präsentieren.

 

Eine weitestgehend vollständige Wiedergabe der Fragen (in Ton und Inhalt) ist sicherlich mühsamer als eine idealerweise neutrale und stichpunktartige Zusammenfassung durch den Beantworter. Erstere vermittelt zwar eine größere Transparenz und suggeriert so zumindest eine Art Austausch, wenn auch natürlich keinen wirklichen Dialog. Allerdings ist das wörtliche Vorlesen von teilweise redundanten Fragen zum gleichen Themenkomplex langatmig und nicht aufmerksamkeitsfördernd. Positiv aufgefallen sind uns in diesem Zusammenhang die gewählten Lösungen der Allianz, Munich Re und Lufthansa – sie fassten die Fragen der Aktionäre thematisch zusammen und beantworteten sie dann in Themenblöcken, aber dennoch detailliert. Neben der zeitlichen Einsparung wurde damit auch ein hohes Maß an Transparenz geboten.

Deutsche Bank: Konzernzentrale in Frankfurt

Noch einen positiven Schritt weiter wird wohl die Deutsche Bank gehen. In ihrer Einladung kündigt sie Aktionären an, dass sie ein öffentliches Forum für eigene Wortbeiträge der Aktionäre (hier maximal 10.000 Worte/Zeichen) zu Themen schafft, die in der Einberufung zur HV aufgeführt wurden. Diese Wortbeiträge sollen auf der Internetseite zur HV vorab – seitens des Veranstalters nicht verpflichtend – veröffentlicht werden.

Ein problematischer Umgang mit Aktionärsrechten ist dagegen wohl ein Vorgehen, welches Schwachstellen ausnutzt, die dem Online-Format geschuldet sind. So wurde Hochtief seitens der Presse öffentlich für sein Vorgehen bei der Beantwortung der Aktionärsfragen kritisiert. Dem Unternehmen war es gelungen Abstimmungsthemen zwar regelkonform, aber dennoch weitgehend in minimalem Umfang durchzusetzen. Öffentlich kritisiert wurde ein intransparentes und oberflächliches Handeln sowie Qualität und Tiefe der Antworten seitens der Verwaltung im Zusammenhang mit dem Fragerecht der Aktionäre.

Virtuelle Hauptversammlungen bieten nach unseren ersten Erfahrungen erst einmal keine Bühne für aktivistische Investoren. Inwieweit diese aus dem Verlauf der Versammlungen und dem neuen Format dann doch Munition für spätere juristische Scharmützel gewinnen können, bleibt abzuwarten.

Unseres Erachtens springen Unternehmen zu kurz, wenn sie sich mittels des virtuellen Formats dem transparenten, angemessen detaillierten Dialog mit den Aktionären verschließen. Wer den Anschein erregt, er wolle sich eines lästigen Anteilseigners entledigen oder herausfordernde Entscheidungsvorlagen durchpeitschen, verspielt Vertrauen.

Andererseits muss konstatiert werden, dass ebenfalls vermieden werden sollte, eine virtuelle Hauptversammlung über mehr als vier oder fünf Stunden hinzuziehen. Auch wenn damit eine maximale Transparenz im Sinne der Anteilseigner angestrebt wird, ist eine solche Dauer bei einer Online-Veranstaltung der Konzentration und der Aufnahme von wichtigen Inhalten nicht förderlich. Hier müssen noch neue Formate und Verfahren gefunden werden. Es gilt, die richtige Balance zu finden – und beim Einsatz neuer digitaler Formate Mut zu beweisen.

 

Verwendete digitale Formate

Neben den beschriebenen formalen, rechtlichen und inhaltlichen Themen ergeben sich auf einer virtuellen HV auch technische und kommunikative Herausforderungen. Während die etablierten HV-IT-Anbieter sowohl die Übertragung von Reden im Netz, die firmeninterne und Backoffice-Kommunikation als auch die Online-Stimmabgabe der Aktionäre bereits souverän umsetzen können, bleiben Fragen der medialen Aufbereitung, der Dramaturgie und des Einsatzes digitaler Darstellungsformen offen. Schafft man eine Erlebniswelt, welche aus Aktionären, Mitarbeitern und einer breiten Öffentlichkeit (soweit zur Teilnahme zugelassen) treue Unterstützer, Sympathisanten oder sogar Kunden machen kann, oder bleibt man im Format des Telekollegs hängen?

Die von uns beobachteten virtuellen HVs zeichneten sich bisher nicht wirklich durch eine mutige Nutzung digitaler Kommunikationsmöglichkeiten aus. Eine multimediale und auch emotionale Ansprache der Shareholder blieb weitgehend aus. Der ganz große Wurf war bei den bisherigen virtuellen HVs noch nicht dabei.

 

Puma: M_S_8_Rider

 

Was wurde bisher geboten?

Im Vorfeld der virtuellen HVs wurden nach unserer Wahrnehmung lediglich die üblichen Unterlagen zu den Tagesordnungspunkten zur Verfügung gestellt. Positive Ausnahme: Die Deutsche Bank hat die Reden von Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden sieben Tage vorab veröffentlicht.

Die Redner befanden sich während der HV auf ihren angestammten Plätzen, ihr Vortrag wurde durch eine frontale Kameraführung dokumentiert.

Die Reden wurden in traditioneller Form gehalten und maximal durch eine PowerPoint-Präsentation mit grafischer Aufbereitung der Fakten unterstützt. Teilweise wurde selbst hierauf weitgehend verzichtet (Munich Re). Besonders plakativ war das Präsentationsdeck des Vorstandsvorsitzenden der Commerzbank, das sich auf wenige Zahlen, Schlagworte oder einfache Infografiken konzentrierte. Lediglich der CEO von Beiersdorf nutzte auch einen Videoeinspieler, um auf Produktinnovationen aufmerksam zu machen.

Die Unternehmen verzichteten weitgehend auf die Möglichkeit, durch Filme, Animationen, Infografiken und zusätzliche Inhalte Erlebniswelten für Aktionäre im virtuellen Raum zu schaffen, wie sie auf den Präsenz-HVs längst gang und gäbe sind. Lediglich die Allianz, Bayer, Commerzbank und die Lufthansa zeigten vor Beginn bzw. nach der Veranstaltung einen dynamischen Werbefilm.

 

Die Unternehmen verzichteten weitgehend auf die Möglichkeit, Erlebniswelten für Aktionäre im virtuellen Raum zu schaffen

 

Nur Lufthansa und Bayer ist es nach unserem Eindruck gelungen, ihre Hauptversammlungen durch eigene Aktivitäten in den sozialen Medien zu bewerben.

Hervorzuheben ist die Nutzung des Twitter-Accounts von Bayer. Das Unternehmen hatte den eigenen Kanal bewusst für Kritiker und ihre Beiträge geöffnet, um einen Ausgleich für die fehlende öffentliche Plattform und die Demonstrationsmöglichkeiten zu schaffen, die eine Präsenz- HV üblicherweise bietet. Das Unternehmen startete damit nicht nur eine lebhafte Debatte, die für Transparenz, Offenheit und einige Sympathiepunkte sorgte, sondern behielt aufgrund einer schlüssigen und gut vorbereiteten Argumentation auch inhaltlich stets das Oberwasser.

Puma hatte unter einem massiven, offenbar orchestrierten Angriff einer politischen Aktivistengruppe auf die Social-Media-Berichterstattung zur Hauptversammlung zu leiden, was aber außerhalb der eigenen Blase der Protestler kaum wahrgenommen wurde. Ähnlich ging es Munich Re, wo die Social-Media-Proteste allerdings viel weniger virulent waren.

 

Wo sehen wir Verbesserungspotenzial?

Dialog-Angebote: Die bisher von uns beobachteten Hauptversammlungen boten nur in sehr geringem Umfang Möglichkeiten zum Dialog, ob informell oder formell. Damit verzichten die Unternehmen auf eine äußerst interessante und wertvolle Möglichkeit, zu verschiedenen Themen mit ihren Anteilseignern ins Gespräch zu kommen – vornehmlich bei Fragestellungen, die nicht durch formale Bestimmungen reguliert sind. Auch Aktionäre sind es gewohnt, in der digitalen Kommunikationswelt zu kommentieren, zu liken, zu teilen. Bislang hat sich unserer Erkenntnis nach leider noch kaum ein Unternehmen getraut, hier einmal einen Versuch zu starten, also quasi „Marktforschung“ bei einer hoch interessanten Zielgruppe durchzuführen.

Mit Ausnahme der Deutschen Bank hat kein Unternehmen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine kurze digitale Umfrage zu Themen durchzuführen, die nicht unmittelbar mit der Tagungsordnung zusammenhängen. Die Konzentration der Teilnehmer auf das digitale Geschehen könnte aber strategisch sinnvoll genutzt werden. Beispiele sind das Nutzerfeedback zur virtuellen HV, Fragen zu Produktinnovationen oder strategischen Themen wie etwa Nachhaltigkeit. Eine freiwillige Onlinebefragung der Aktionäre ließe sich sehr einfach in die Aktionärsportale der virtuellen HV einbinden.

Erlebniswelten: In der Regel wird heutzutage jede HV-Präsenzveranstaltung durch Messebau, Produktplatzierungen und Zukunftsvisionen aus dem F&E-Labor begleitet. Warum werden diese Inhalte nicht auch im Umfeld einer virtuellen HV präsentiert? Gerade die mediale Unterstützung der CEO-Rede bietet sich hierfür an: animierte Infografiken für komplexe Inhalte, Videoeinspieler usw. lassen sich gut vorbereiten, helfen dem Verständnis und der Positionierung und lassen sich nach der HV wiederverwerten.

Verfahrensnotwendige Pausen ließen sich mit Hilfe von Kreativinhalten nicht nur unterhaltend, sondern darüber hinaus strategisch sinnvoll überbrücken.

Interessante Einblicke für die Teilnehmer würden beispielsweise auch kurze Videos (immer mit dem Ton des Redners verbunden) vom Backoffice oder den sonst nicht einsehbaren Bereichen hinter der Kulisse des Podiums liefern.

Starbucks: Virtuelle HV am 18. März 2020

Auch bei dem gewählten Setting waren die Unternehmen bisher nicht sonderlich experimentierfreudig. Sicherlich spielen dabei rechtliche Fragen, Themen der IT-Sicherheit/-Stabilität und das aktuell notwendige Distanzhalten aufgrund von COVID-19 eine Rolle, aber Übertragungen aus Produktions- oder Logistikstandorten oder Laboren würden den Teilnehmern zusätzliche spannende Einblicke liefern und für eine gewisse Emotionalisierung sorgen. Als Beispiel sei die virtuelle HV von Starbucks in den USA genannt, die im Ambiente eines Cafés stattfand.

Es ist zu vermuten, dass sich der Teilnehmerkreis einer virtuellen HV von dem einer klassischen Präsenzveranstaltung unterscheidet, d.h. jünger, digitalaffiner und ggf. auch mit einem größeren Interesse am Kapitalmarkt ausgestattet ist. Sollte sich diese Vermutung im Nachgang zur HV-Saison 2020 bestätigen, sollten zukünftige virtuelle HVs eher als abgespeckte Kapitalmarkttage verstanden sowie die gesamten Inhalte detaillierter und auf eine kapitalmarktaffinere Zielgruppe ausgerichtet werden.

Weiterhin sollten sich Unternehmen überlegen, ob das Abhalten einer virtuellen HV über eine Aktionärswebsite nicht auch eine zusätzliche Gelegenheit ist, das Nutzerverhalten der Anteilseigner zu messen und zu überprüfen, um Erkenntnisse über die Interessen dieser wichtigen Zielgruppe zu erhalten.

 

Empfehlungen auf Basis der bisherigen Erfahrungen

Die Vorteile für alle Beteiligten einer Online-HV liegen auf der Hand:

• Die Kosten einer virtuellen HV liegen nach den ersten Erfahrungen deutlich (mehr als 50 Prozent) unter denen einer Präsenzveranstaltung.

• Der Aufwand seitens des Veranstalters für Logistik und Sicherheitsaspekte ist minimal.

• Es gibt grundsätzlich die Möglichkeit, dass eine virtuelle HV in einem zeitlich kürzeren Zeitrahmen abgehalten werden kann als dies bei Präsenzveranstaltungen in der Regel der Fall ist.

• Virtuelle HVs ermöglichen es Aktionären, Terminkonflikte parallel verlaufender Versammlungen aufzulösen. Berufstätige Aktionäre können so überhaupt erst HVs beiwohnen, was unter dem Strich auch eine positive Auswirkung auf eine ausgewogenere Demographie des Publikums haben sollte.

 

Vorteile werden sich aber nur auswirken können, wenn die Mehrheit der Aktionäre auch auf einer Online-HV ihre Rechte gewahrt sieht

 

Die Vorteile werden sich aber nur auswirken können, wenn die Mehrheit der Aktionäre auch auf einer Online-HV ihre Rechte gewahrt sieht, durch ergänzende Informationen einen Mehrwert sowie Komfort erhält und dieses Format daher zukünftig unterstützt. Folgende Aspekte sollten Unternehmen berücksichtigen:

• Die aktuelle Gesetzeslage sieht vorerst nur für 2020 die Möglichkeit eines reinen virtuellen Formats vor. Sollten die Aktionäre am Ende der Saison das berechtigte Gefühl haben, ihre Rechte seien lediglich in minimalem Umfang geachtet worden, wird 2020 wohl eine historisch einmalige HV-Saison geblieben sein – ganz zu schweigen vom möglichen Reputationsrisiko für das entsprechende Unternehmen.

• Virtuelle Hauptversammlungen sollten inhaltlich möglichst nah an der Präsenz-Hauptversammlung bleiben und damit live und in Gänze öffentlich im Internet übertragen werden. Zumindest sollte der interessierten Öffentlichkeit eine ausreichende Anzahl von Gästekarten zur Verfügung gestellt werden.

• Die Veranstaltung sollte nicht nur zweisprachig übertragen werden, sondern sich auch durch das Angebot von Gebärdensprache und/oder Untertiteln einem erweiterten Teilnehmerkreis öffnen. Beides fehlte bei allen von uns beobachteten Versammlungen und war im Sinne der Inklusion ein eindeutiges Manko.

• Die Reden des Aufsichtsrats- und des Vorstandsvorsitzenden sind hinsichtlich ihrer Länge dem virtuellen Format anzupassen. Gleichzeitig sollten sie jedoch die medialen Möglichkeiten des Formats viel stärker und besser nutzen und durch Videoeinspieler, Infografiken etc. zusätzliche Inhalte einbauen, die dem Verständnis, der Transparenz und dem Erlebnis der Aktionäre dienen.

• Fragen der Aktionäre sollten auch noch im Laufe der Generaldebatte eingereicht werden können, damit Nachfragen ermöglicht werden und sich ein Dialog ergeben kann. Dies ist technisch problemlos möglich. Eine Einschränkung des Fragerechts sollte wie bislang üblich nur dann erfolgen, wenn absehbar ist, dass eine Beantwortung aller Fragen zeitlich nicht zu leisten ist.

• Ein Forum für individuelle Redebeiträge im Vorfeld der HV (Beispiel Deutsche Bank) oder die Öffnung unternehmenseigener Social-Media-Kanäle (Beispiel Bayer) für eine rege Live-Interaktion mit Kritikern ermöglichen eine neue und vielfältigere Art der Debatte. Die Unternehmen bleiben involviert und behalten über weite Strecken auch die Deutungshoheit.

• Eine Abstimmung zu den Punkten der Tagesordnung sollte am Ende der Generaldebatte erfolgen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Debatte überhaupt eine Chance hat, Einfluss auf die Abstimmung zu nehmen. Ansonsten läuft man Gefahr, die Aussprache zu einer reinen Pflichtübung (wenn Fragen vorab gestellt werden mussten) oder einem reinen Debattierklub (bei Live-Fragen) zu degradieren.

• Es sollten digitale Wege genutzt werden, „Erlebniswelten“ zu vermitteln, die über die rechtlich notwendigen Anforderungen hinaus gehen.

Die Möglichkeit einer Online-HV wurde vom Gesetzgeber erst einmal auf das laufende Jahr beschränkt. Nur wenn diese Möglichkeit zur Zufriedenheit aller Beteiligten genutzt wurde, wird einer Fortsetzung in den Folgejahren nichts im Wege stehen. Denkbar ist auch eine Hybridlösung, die das Informationsinteresse über eine Online-Lösung bedient, aber aktiveren Aktionären die Präsenzveranstaltung mit ggf. umfassenderen Aktionärsrechten unverändert anbietet.

Anmerkung: Dieser Beitrag spiegelt die persönliche Meinung der Autoren wider.


 

Die Autoren
Sie erreichen das Autorenteam per E-Mail unter: [email protected]

Lutz Grüten Director (Frankfurt), ist seit mehr als 25 Jahren im Kapitalmarktumfeld tätig. Zunächst betreute er als Leiter Equity Research deutsche und europäische Unternehmen,vor allem aus der Chemiebranche, für Banken in Frankfurt, München und London in der kontinuierlichen Coverage und bei IPOs, M&A und Spin-offs. Bevor er 2020 zu Brunswick kam, verantwortete er als Leiter Investor Relations von K+S die Kapitalmarktkommunikation in Zeiten großer strategischer Herausforderungen.

 

Philipp Schüler, Director (Frankfurt), arbeitet seit 2006 bei Brunswick und ist auf Finanzkommunikation und kritische Situationen spezialisiert. Er hat zahlreiche nationale und internationale Kunden bei ihren erfolgreichen Börsengängen unterstützt, an komplexen grenzüberschreitenden Transaktionen gearbeitet und Unternehmen bei der Verbesserung ihrer Kapitalmarktkommunikation geholfen. Bis 2016 hat er berufsbegleitend an der TU Darmstadt zum Thema Aktionärsaktivismus promoviert.

 

Stefanie Chalk, Director (Frankfurt) berät Unternehmen in erfolgskritischen Situationen, zu ESG und dem Dialog mit unterschiedlichen Stakeholdern. Sie hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Finanzkommunikation und bei CR-Themen. Bevor sie 2017 zu Brunswick kam, war sie in der Finanzbranche und in der Beratung in Asien und in Deutschland tätig, unter anderem in regionalen und globalen Positionen bei Morgan Stanley und der Deutschen Bank.

 

Tom Levine gehört zur Digital Practice von Brunswick und berät insofern vornehmlich zur Kommunikation über digitale Plattformen und Kanäle. Vor seinem Einstieg bei Brunswick 2019 führte er die Content Strategie bei C3, dem deutschen Marktführer für Content Marketing. Zuvor war er als Journalist tätig, unter anderem als London Korrespondent und im Bundesbüro der Berliner Zeitung.


 

Fotos: Clipdealer, Deutsche Lufthansa AG, BMW AG, Bayer AG, Pixabay, Deutsche Bank AG

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Über Gereon Kruse

Gereon Kruse
Gereon Kruse ist Gründer des in Frankfurt ansässigen Finanzportals boersengefluester.de und seit vielen Jahren ein profunder Kenner von Kapitalmarktthemen und Experte für Datenjournalismus. Sein Spezialgebiet sind deutsche Aktien – insbesondere Nebenwerte. Investmentprofis aus dem Small- und Midcap-Bereich stufen die Qualität der Berichterstattung von boersengefluester.de laut der IR.on-Medienstudie 2020/21 mit der Bestnote 1,67 ein. Im Gesamtranking der Onlinemedien liegt die Seite mit Abstand auf Platz 1. Beim finanzblog award der comdirect bank hat boersengefluester.de den Publikumspreis und zusätzlich noch den 3. Platz in der Jurywertung gewonnen. Zuvor war Gereon Kruse 19 Jahre beim Anlegermagazin BÖRSE ONLINE tätig – von 2000 bis Anfang 2013 in der Funktion des stellvertretenden Chefredakteurs.